Autor: Christoph Wohlfarth
Am 21. und 22. April 1966 fand in Anwesenheit prominenter Ehrengäste aus Politik und Wirtschaft die offizielle Eröffnung der ICI Faserwerke in Östringen statt. Zahlreiche Vertreter der Tages- und Fachpresse, verschiedener Rundfunkanstalten sowie von Fernsehstationen aus Deutschland und England berichteten über dieses für die Gemeinde Östringen und den Landkreis Bruchsal so bedeutsame Ereignis. Unter den geladenen Gästen waren u. a. der baden-württembergische Landtagspräsident Franz Gurk, Arbeitsminister Josef Schüttler, der den verhinderten Ministerpräsidenten Dr. Kurt-Georg Kiesinger vertrat, der britische Botschafter in Bonn, Sir Frank Roberts, sowie der Vorstandsvorsitzende der ICI, Sir Paul Chambers. Neben der Pressekonferenz und der Eröffnungsfeier mit Ansprachen bildete eine große Modeschau im Werk den Höhepunkt der Veranstaltung.
Für die Gäste wurde speziell zu diesem Anlass eine Pressemappe von über 30 Seiten angefertigt. Diese war mehrsprachig (Deutsch, Englisch, Französisch und Italienisch) und enthielt ausführliche Beschreibungen und Bilder des neu errichteten Faserwerkes.
Donnerstag, 21. April: Pressetag und Fachdiskussion
Der erste Tag der offiziellen Eröffnungsfeier war als Pressetag organisiert. So trafen sich vormittags Fachjournalisten zu einer Fachdiskussion im Lehrsaal neben der Kantine. Am Nachmittag fand dann die große Pressekonferenz für die Journalisten der Tagespresse statt.
Freitag, 22. April: Eröffnungsfeier mit Ansprachen und Modeschau
Empfang der Ehrengäste
Am zweiten Tag wurde ein Teil der Ehrengäste mit dem Hubschrauber eingeflogen.
Um den Ehrengästen einen angemessenen Empfang zu bieten, wurde der Eingangsbereich vor dem Verwaltungsgebäude mit einem blauen Baldachin geschmückt.
Hostessen fungierten als Dolmetscherinnen und wiesen die geladenen Gäste ein.
Beginn der Eröffnungsfeier mit Festansprachen
Die Gäste versammelten sich in der Empfangshalle des Verwaltungsgebäudes, die war zuvor für die Eröffnungsveranstaltung umgebaut und bestuhlt sowie mit einem Rednerpult für die Festansprachen versehen worden war.
Da strahlte der Östringer Bürgermeister Hermann Kimling, als sich die Ehrengäste in das Goldene Buch der Gemeinde Östringen eintrugen.
Als Leiter des neuen Werkes begrüßte Thomas Howie die Gäste und betonte, dass sich dort, wo heute moderne Industriebauten stehen, vor zwei Jahren noch Wiesen und Äcker waren.
Sir Paul Chambers, der Vorstandsvorsitzende der ICI, legte noch einmal die Gründe dar, die die ICI als britischen Konzern bewogen haben, eine so große und bedeutende Investition außerhalb Englands ausgerechnet in dem Land zu tätigen, in dem die größten Mitbewerber auf dem Chemiemarkt ansässig sind.
Im Namen der Architekten bedankte sich Professor Dipl.-Ing. Erwin Heinle vom Architekturbüro Heinle & Wischer, Stuttgart, beim ICI-Konzern, der Direktion, der Verwaltung und allen beteiligten Firmen und Ingenieurbüros für die Mitarbeit und das entgegengebrachte Vertrauen. Er hob hervor, dass es bei der Planung von Anfang an darum gegangen sei, das riesige Bauvolumen ohne wesentliche Veränderungen des ländlichen Weichbildes so in die Landschaft einzufügen, das kein unangenehmer Bruch spürbar sei. Die Gebäudegruppen mit ihren differenzierten Höhen, Längen und Breiten sollten trotz der mannigfaltigen Gliederung durch die Einheitlichkeit der Materialverwendung zu einer baulichen Einheit verschmolzen werden. Er sprach von einer „Schwarz-Weiß-Komposition im Grünen“.
Der Betriebsratsvorsitzende der ICI Östringen, Wolfgang Twardocus, übermittelte die Grüße des Betriebsrats, der ein Bindeglied zwischen Belegschaft und Geschäftsführung quasi eine Vorstufe der Mitbestimmung sei. Das gemeinsame Ziel, nämlich die Produktion von hochwertigem Garn, sei nur mit zufriedenen und gut ausgebildeten Arbeitskräften zu erreichen.
Bürgermeister Hermann Kimling hob gleich zu Beginn seiner Rede hervor, dass es wohl einmalig in der langen Geschichte seiner Gemeinde Östringen sei, dass der Bürgermeister eine so große Anzahl prominenter Gäste und Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft, Kunst und Wissenschaft, Industrie, Verwaltung und Presse begrüßen darf. Die Eröffnung des neuen Faserwerkes sei ein Meilenstein in der Geschichte der Gemeinde Östringen. Besonders bedankte er sich bei Generaldirektor Thomas Howie und dem Vorstandsvorsitzenden der ICI, Sir Paul Chambers, für die hervorragende Zusammenarbeit zwischen der Werksleitung und der Gemeindeverwaltung.
Der baden-württembergische Arbeitsminister Josef Schüttler, der den verhinderten Ministerpräsidenten Kurt-Georg Kiesinger vertrat, erinnerte daran, dass die Errichtung dieses modernen Chemiefaserwerkes in der Öffentlichkeit lange Zeit lebhaft diskutiert wurde. Das Werk sei zwar eine große Bereicherung für die Gemeinde Östringen und die Region, doch gab es aufgrund des angespannten Arbeitsmarktes auch starke Vorbehalte von Unternehmen in der Umgebung und der Industrie- und Handelskammer Karlsruhe, die eine weitere Verknappung des Arbeitskräfteangebotes befürchteten. Diese Befürchtungen haben sich glücklicherweise nicht bestätigt, da das Unternehmen sich an die örtlichen Gegebenheiten angepasst und auf benachbarte Firmen weitgehende Rücksicht genommen hat. Von den im neuen Werk beschäftigten Angestellten haben mehr als die Hälfte außerhalb des Landkreises Bruchsal, zum Teil in anderen Bundesländern, gearbeitet. Die gewerblichen Arbeitneh mer kommen zwar überwiegend aus Östringen oder aus anderen Gemeinden der Landkreise Bruchsal und Sinsheim, aber es handelt sich bei ihnen zum größten Teil um ungelernte Kräfte aus verschiedenen Wirtschaftszweigen und aus der Landwirtschaft.
Als letzter Redner begrüßte Sir Frank Roberts, britischer Botschafter in Bonn, die deutsch-englische Zusammenarbeit in einem Industriezweig, in dem die Bundesrepublik und Großbritannien zu den führenden Ländern der Welt gehörten. Seiner Meinung nach sei die mustergültige Ansiedlung der ICI in Östringen ein Modellfall, der für viele weitere Projekte dieser Art die Funktion einer Initialzündung haben werde.
BRI-NYLON Modenschau
Als weiteres Highlight der Eröffnungsfeier wurde eine Modenschau in den Räumlichkeiten des Versandlagers veranstaltet. Hierzu waren am Tag zuvor acht Mannequins aus England auf dem Frankfurter Flughafen gelandet und mit einem Bus nach Östringen gebracht worden.
Auf der Modenschau wurde Kleidermode aus BRI-NYLON, die von internationalen Modedesignern gefertigt worden war, vorgeführt. Gezeigt wurden insgesamt über 60 Modelle von Badeanzügen, Wäsche, Freizeitmoden ganz im Stil der 1960er Jahre bis hin zu extravaganten Abendroben.
Paletten waren im Versandlager zu Laufstegen aufgeschichtet worden und Spinnkopse dienten als Dekoration.
Im folgenden werden Bilder und Eindrücke von der Modenschau gezeigt:
Große Begeisterung lösten die Darbietungen der Mannequins unter den geladenen Gästen aus.
Aber auch die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen aus dem Versandlager und den umliegenden Abteilungen wollten sich das Event nicht entgehen lassen und unterbrachen vorübergehend ihre Arbeit. Jede Nische, die ein freies Sichtfeld auf die Modenschau bot, wurde kreativ genutzt.
Presseberichte zur Eröffnungsfeier
Neben der Berichterstattung im Rundfunk und Fernsehen fand die offizielle Eröffnungsfeier des Östringer Faserwerkes auch große Beachtung in der regionalen und überregionalen Presse: