Autor: Christoph Wohlfarth
Der folgende Bericht zeigt Bilder und Eindrücke vom Werksaufbau aus den Jahren 1963 bis 1965 sowie eine Übersicht der nachfolgenden Bauabschnitte.
Bilder vom Werksaufbau 1963 bis 1965
Das Werksgelände
Die Entscheidung, die Nylon Faserwerke in Östringen anzusiedeln wurde nach intensiven Untersuchungen und Vorstudien im September 1963 festgelegt. Die Gemeinde Östringen konnte den British Nyon Spinners ein geeignetes Werksgelände von 41 ha im Gewann „Breiloch“ zur Verfügung stellen und sorgte auch für eine ausreichende Strom-, Gas- und Wasserversorgung. Das anvisierte Gelände, westlich in Richtung Mingolsheim gelegen, war damals noch deutlich vom Ort abgesetzt. Es bestand hauptsächlich aus landwirtschaftlich genutzten Wiesen, die die Gemeinde zuvor von den bisherigen Besitzern aufgekauft hatte.
Planung und Baubeginn
Unmittelbar nach der Festsetzung des Standortes wurde das renommierte Ingenieur- und Architekturbüro Heinle & Wischer mit der Planung und Bauleitung des neuen Faserwerkes in Östringen beauftragt. Professor Dipl.-Ing. Erwin Heinle galt damals als einer der fortschrittlichsten deutschen Architekten, insbesondere mit dem modernen Gebrauch von Beton und Metall, und hatte sich bereits mit dem Bau des Stuttgarter Fernsehturms und dem baden-württembergischen Landtagsgebäude einen Namen in der Branche gemacht. Siegfried Steiger von Heinle & Wischer wurde zum verantwortlichen Architekten für das Bauprojekt ernannt.
Mit der Bauausführung wurde die Firma HOCHTIEF AG als Generalunternehmer beauftragt.
Als Vorbild und Blaupause für den Aufbau des neuen Faserwerkes in Östringen diente das Faserwerk in Pontypool (Süd-West-Wales), das BNS zehn Jahre zuvor ebenfalls auf der grünen Wiese errichtet hatte.
Die Planung und Bauausführung erfolgte in enger Abstimmung mit den Werksingenieuren aus Pontypool. So reisten die Architekten von Heinle & Wischer bereits im Oktober 1963 nach Pontypool, um gemeinsam mit ihren britischen Kollegen die Pläne für das neue Faserwerk auszuarbeiten. Außerdem entsandte BNS mit Eric Williams als Oberplanungsingenieur zusammen mit Reginald Clarke zwei erfahrene Ingenieure nach Östringen, um den Aufbau der neuen Faserfabrik vor Ort zu unterstützen.
Neben Heinle & Wischer sowie dem Baukonzern HOCHTIEF waren auch noch weitere Firmen an dem Großprojekt beteiligt.
Die geforderte kurze Bauzeit mit dem Ziel, bereits im Frühjahr 1965 die Faserproduktion in Östringen aufzunehmen, war für alle Beteiligten eine der größten Herausforderungen. Daher wurde unmittelbar nach Erteilung des Planungsauftrages an die Architekten eine Voranfrage zur Baugenehmigung eingereicht, zwei Monate später das offizielle Baugesuch. Der erste Spatenstich erfolgte noch im Dezember. Zeitgleich zur Erarbeitung der Entwurfs- Werks- und Detailpläne wurde mit der Erschließung des Baugeländes begonnen. Eine provisorische Zufahrtstraße wurde von der B292 zum Industriegelände angelegt, um den schweren Baufahrzeugen den Zugang zur Großbaustelle zu ermöglichen. Die Wasserversorgung wurde durch Brunnen und den Anschluss an die Gruppenwasserversorgung Hohberg gelöst. Ebenso wurde ein Kanalanschluss an die nahe gelegene Kläranlage verlegt.
Nachdem der erste Spatenstich noch im Dezember 1963 erfolgt war, begann sich das Bild auf dem künftigen Werksgelände dramatisch zu ändern. Bereits im Januar 1964 wurde neben dem Werkseingang eine große Holzbaracke mit provisorischen Büros zur Unterbringung der Bauleitung und der ersten BNS Mitarbeiter errichtet.
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Stützpfeiler aus Beton wurden in das Erdreich gerammt, um den feuchten Untergrund zu stabilisieren.
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Im März 1964 konnten die ersten Fundamente betoniert werden.
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Bald darauf war die einstige Wiesenlandschaft im Gewann „Breiloch“ nicht mehr wiederzuerkennen:
Alle Gebäude wurden in Betonfertigteilen erstellt. Diese wurden in mehreren Betrieben nach den Plänen bereits vorgefertigt, während auf der Baustelle noch die Fundamente betoniert wurden. Schwerlasttransporter brachten dann die vorgefertigten Betonteile auf die Baustelle, wo sie mit Hilfe von Kränen aufgestellt wurden.
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Ein Teil der Pfeiler, Träger und Stützen wurde aber auch direkt auf der Baustelle hergestellt. Um in der Kürze der Zeit die Wärme zum Erhärten des Betons zu bekommen, wurden die Fertigteile mit Dampf beheizt. Durch diese erhöhte Wärmezufuhr konnte die benötigte Härte in vier Stunden erreicht werden.
Diese rationelle und durchorganisierte Vorgehensweise brachte dem Bauprojekt den Ruf als „schnellste Baustelle Europas“ ein.
Anbei eine Zusammenstellung der wichtigsten Meilensteine und Daten zum Werksaufbau:
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September 1963 | Standortentscheidung für Östringen |
Oktober 1963 | Beauftragung an Heinle & Wischer |
Dezember 1963 | Einreichung des Baugesuchs und Erster Spatenstich |
März 1964 | Die ersten Fundamente werden betoniert |
Oktober 1964 | Richtfest |
März 1965 | Der erste Nylonfaden wird gesponnen |
Ende 1965 | Außenanlagen sind fertiggestellt |
22. April 1966 | Offizielle Eröffnungsfeier |
Bauzeit: | 20 Monate |
Grundstück: | 41 ha |
Länge der Fabrik: | 317 m |
Breite der Fabrik: | 196 m |
Umbauter Raum: | 469.890 m³ |
Baukosten: | ca. 200 Mio. DM (weitere Investitionen folgten mit den nächsten Ausbaustufen) |
Bild gut zu erkennen ist, waren die Arbeiten an den Außenanlagen noch nicht abgeschlossen.
Der ursprüngliche Mitarbeiterparkplatz befand sich damals noch an der Westseite des Werkes.
Bilder und Eindrücke von der „schnellsten Baustelle Europas“
Montage der Fertigteilstützen und -träger
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Der Herstellungsprozess des Nylonfadens bestimmte auch das Layout und den Grundriss des Faserwerkes und der damit verbundenen Versorgungswege in Ost-West-Richtung:
Energieversorgung -> Thermex- und Dampf-Kesselhaus -> Polymerlager -> Spinnturm > Hallen für Streckzwirnerei, Texturierung und Erstellung von Kettbäumen -> Fertigwarenlager und Versand
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Wegen der geforderten Feuerbeständigkeit und der möglichen Schwitzwasserbildung wurden auch die Stützen und Binder der weitgespannten Fertigungshallen in Stahlbeton ausgeführt.
Auf den Sichtbetonstützen wurden die Fertigteilbinder aus Stahlbeton montiert.
Die Klimazentralen (Rucksäcke) wurden durch Doppelstützen getragen.
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Die Außenfassaden der aus Stützen und Bindern aufgebauten Tragekonstruktion bestanden aus vorgefertigten Beton-Panels, die außen angebracht und innen befestigt wurden. Wegen ihres Aufbaus wurden sie auch als Sandwichplatten bezeichnet und bestanden aus 2 mal 3 Einzelelementen, wobei jedes Einzelelement 3 m lang und 1 m hoch war und wurden innen an die Stützen angehängt.
Da wegen der für die Faserproduktion notwendigen hohen Luftfeuchtigkeit mit Kondenswasserbildung an den Außenwänden zu rechnen war, mussten sie mit einer guten Wärmedämmung und innenseitig mit der richtigen Dampfwiderstandsschicht versehen werden.
Der Querschnitt einer Sandwichplatte setze sich aus der 5 cm dicken Außenplatte mit keramischen Mosaikplatten, gefolgt von einer 5 cm dicken Isolierschicht aus Polyäthylen als Dampfsperre und einer 12 cm dicke Innenplatte zusammen.
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Spinnturm und vorgelagerte Versorgungseinheiten
Der viergeschossige Spinnturm an der Ostseite der Fabrik bildete das Herzstück der Faserproduktion. Auf dem davorliegenden Werksgelände befanden sich die Versorgungseinheiten für die Produktion: Das Diphyl- und Dampfkesselhaus mit seinem charakteristischen Doppelkamin, daneben das Polymerlager und davor das Energieversorgungsgebäude mit der Elektrozentrale und der Gasübergabestation, daneben noch das Öl- und Lösungsmittellager.
sehen.
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Glaswand und Eckansicht des Spinnturm-Treppenhauses
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mit Doppelkamin und das Energieversorgungsgebäude
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Fabrikhallen und nachgelagerte Abteilungen
An den Spinnturm schlossen sich in Westrichtung die Fabrikhallen für die nachgelagerten Abteilungen, z.B. Streckzwirnerei, Texturierung sowie die dazugehörenden Werkstätten und Labore an.
aufbauten, in denen die Klimazentralen untergebracht waren.
stellung der Außenanlage und des Parkplatzes. Links unten ist noch die provisorische
Bau- und Verwaltungsbaracke zu erkennen.
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Das Pförtnerhaus
Das pavillonartige Pförtnerhaus mit seinen umlaufenden Glaswänden wurde erhöht auf einem mittigen Betonkern errichtet, wodurch der Blick nach allen Seiten freigegeben wurde.
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Die Kantine
Die Kantine war sowohl mit dem Verwaltungsgebäude als auch mit der Fabrik durch einen überdachten Gang mit Glasfront verbunden. Da die Fertigung aus klimatischen Gründen in geschlossenen, fensterlosen Räumen erfolgen musste, war der Speisebereich der Kantine nach außen orientiert, so dass die Arbeiter und Angestellten während der Essenszeiten durch die Glasfront einen freien Blick auf die davor liegenden Grünflächen hatten. Die Küche lag in der Mitte des Kantinengebäudes und wurde von oben belichtet und von unten beliefert.
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Das Verwaltungsgebäude
Das Verwaltungsgebäude wurde nach dem in den USA entwickelten Hubdeckensystem (Lift-Slab-Methode) gebaut, bei dem die Decken zunächst am Boden betoniert und dann in ihre endgültige Lage gehoben wurden. Dieses Verfahren brachte Einsparungen bei der Schalung und dem Gerüst, vor allem aber eine große Zeitersparnis durch das kontinuierliche Betonieren aller Decken auf dem Boden.
Das dreigeschossige Verwaltungsgebäude enthielt rund um die beiden Installations- und Treppenkerne Büroflächen, die dank der flexiblen Wände sowohl als Einzelräume wie auch als Großbüros verwendet werden konnten.
Kantine, daneben der Zierteich mit Seerosen und Goldfischen
von Alan Luty
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Bronzemedaille beim Bundeswettbewerb „Industrie in der Landschaft“
1968 nahm ICI an der erstmals ausgetragenen Ausschreibung zum Bundeswettbewerb „Industrie in der Landschaft“ teil und reichte die entsprechenden Unterlagen mit Fotos und Planen der Faserfabrik ein.
Preisverleihung für die Bronzemedaille im Wettbewerb „Industrie in der Landschaft“
Faserspiegel IV/5, Mai 1969
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Übersicht der weiteren Bauabschnitten mit Werksansichten
Für die Architekten und Bauplaner gab es bei der Planung und dem Bau der neuen Fabrik drei wesentliche Anforderungen:
- Die Bauzeit sollte so kurz wie möglich gehalten werden
- Die Räumlichkeiten in der Fabrik sollten von vornherein auf betriebliche Veränderungen ausgerichtet sein, ohne dass hierfür zukünftig umfangreiche größere Umbauten nötig wären. Da mit einer Erneuerung der Spinnmaschinen gerechnet werden musste, wurde die Fertigungshalle nach dem „Haus-im-Haus“-Prinzip errichtet, d.h. die mehrgeschossigen Maschinen im Spinnturm wurden unabhängig von der Tragkonstruktion montiert.
- Zusätzlich sollten von Anfang an Erweiterungsmöglichkeiten der Fabrik zu einem späteren Zeitpunkt vorgesehen werden.
OE I – Erster Bauabschnitt 1964 bis 1965
Neubau des Faserwerkes für die Nylon Produktion mit einer Produktionskapazität von 20.000 Jahrestonnen und einem Investitionsvolumen von ca. 150 Millionen DM
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Diese frühe Luftaufnahme der „Nylon“ stammt aus dem Jahr 1966. Wie auf dem Bild gut zu erkennen ist, waren die Arbeiten an den Außenanlagen noch nicht abgeschlossen. Der ursprüngliche Mitarbeiterparkplatz befand sich damals noch an der Westseite des Werkes.
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OE II – Zweiter Bauabschnitt 1967
Aufbau einer 5.000 Tonnen Polyester- („Terylene“)-Anlage mit einem Investitionsvolumen von 80 Millionen DM
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OE III – Dritter Bauabschnitt 1968/69
Verdreifachung der Polyesterproduktion mit einem Investitionsvolumen von weiteren 60 Millionen DM
+ Erweiterungsbau für das Fertigwarenlager
+ Verlegung Parkplätze vor das Werksgelände
+ Neubau TEA-Gebäude (später Carpet Centre)
OE IV – Vierter Bauabschnitt 1969/70
Erweiterung der Nylon-Produktionskapazitäten um 13.000 Jahrestonnen zum Aufbau der Produktion von Teppichgarnen und -fasern
OE V – Fünfter Bauabschnitt 1986/87
Modernisierung Stapelfaserproduktion mit Spinnturmerweiterung mit einem Produktionsvolumen von 18,4 Millionen DM (Extruder mit integrierten Trocknungsanlagen und neu konstruierten Packboxen)
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Nylon Modernisierung 1998 bis 2000
Im Rahmen des Nylon Modernisierung Projektes kam es unter DuPont zu einer letzten großen Erweiterungsinvestition im Östringer Faserwerk. Dabei wurden die Nylon-Stapelfaserproduktionen in dem ICI-Werk Doncaster (UK) und dem ehemaligen DuPont-Werk in Hamm-Uentrop stillgelegt und die Maschinen nach Östringen transferiert. Zusätzlich wurde auch die Nylon-BCF-Produktion in Hamm-Uentrop geschlossen und ebenfalls nach Östringen verlegt. Zeitgleich mit den Anlagentransfers aus Doncaster und Uentrop wurden auch noch die bestehende Stapelfaser- und Apparel-Produktion im Östringer Werk modernisiert. Das Gesamtvolumen der Investition belief sich auf ca. 200 Millionen DM.
Gesamtübersicht aller Erweiterungs- und Umbaumaßnahmen
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