Autor: Christoph Wohlfarth unter Mitwirkung von Gustav Dierssen

Das folgende Kapitel beschreibt die Firmengeschichte der ICI in Deutschland, insbesondere der Deutsche ICI, beginnend mit der Eröffnung eines ersten Verbindungsbüros am 1. Januar 1950 in Frankfurt, der Gründung des 1. Vertriebsbüros der British Nylon Spinners (BNS) in Stuttgart im Jahr 1963 bis hin zur Gründung der Deutsche ICI GmbH und der verschiedenen Produktionsstätten und Niederlassungen in Deutschland.

Firmenchronologie

Bis zum Zweiten Weltkrieg lag der geschäftliche Schwerpunkt der ICI in Großbritannien und im Commonwealth, aber bereits am 1. Januar 1950 wurde in Frankfurt a. M. ein Verbindungsbüro eröffnet, um an die früheren Kontakte zur deutschen Chemieindustrie wieder anzuknüpfen.

Das bis dahin bestehende Verbindungsbüro am Schau-Main-Kai in Frankfurt wurde am 1. September 1958 in eine Niederlassung der ICI Export Limited (Manchester) umgewandelt. Mit der Gründung der ICI Export Ltd. entstand somit die erste handeltreibende Geschäftsinstitution der ICI in Deutschland. Die drei Mitarbeiter des Verbindungsbüros bildeten zusammen mit ihren Sekretärinnen die ersten Mitarbeiter der neuen Firma. Dieser Schritt dokumentiert die Hinwendung der ICI zum europäischen Wirtschaftsraum und insbesondere zum deutschen Absatzmarkt, der zu dieser Zeit innerhalb der EWG das höchste Wirtschaftswachstum aufwies. Zuvor wurden ICI-Produkte in der Bundesrepublik Deutschland durch andere Firmen vertrieben. So erfolgte beispielsweise der Vertrieb von ICI-Farbstoffen, -Chemikalien und -Kunststoffen durch die Firma Rheinchemie. Es dauerte aber noch über ein Jahr, bis alle Vorbereitungen soweit fortgeschritten waren, dass der Verkauf in eigener Regie beginnen konnte.

Dass es sich dabei um einen ersten Schritt zur konsequenten Erschließung des deutschen Marktes gehandelt hat, beweist auch der Entschluss von 1962, die ICI Export Ltd. durch ein Unternehmen mit deutscher Rechtsform, die ICI Deutschland GmbH, zu ersetzen. Die ICI Deutschland GmbH mietete in Frankfurt in der Stresemannallee, die am alten Stadtteil Sachsenhausen vorbeiführt, in einem 13-stöckigen Hochhaus neue Büroräume an. Der Schwerpunkt der Geschäftstätigkeit lag damals hauptsächlich im Vertrieb von Kunststoffen, Chemikalien und Farbstoffen.

Mit dem Bau des Chemiefaserwerkes der Britisch Nylon Spinners (BNS) in Östringen wurde zeitgleich 1963 die Faservertriebsgesellschaft der BNS in Stuttgart gegründet. Und das in derselben Straße, in der die Phrix Werke AG Hamburg ihr Vertriebsbüro für ihre Kunstfaserprodukte (Viskose) hatte. Die Phrix Werke AG, eine Tochter der BASF und des US Unternehmens Dow Chemical, hatten zu diesem Zeitpunkt bereits erhebliche Absatzprobleme mit ihren Kunstfasern und gerieten dadurch in die Verlustzone, während die aufkommende Chemiefaser-Branche boomte. Es verwunderte also nicht, dass eine große Anzahl der ersten BNS-Faservertriebsleute in Stuttgart von Phrix kamen. Sie mussten ja nur die Straßenseite wechseln.

Bis 1965 wurde die weltbekannte Marke BRI*-Nylon von der BNS-Vertriebsgesellschaft in Stuttgart auf dem deutschen Markt vertrieben. Als ICI am 1. Januar 1965 zu seinen 50 %-Anteilen an der BNS die restlichen Courtaulds-Anteile an den Britisch Nylon Spinners (BNS) übernahm, wurden die BNS-Faservertriebsgesellschaft in die ICI-Faservertriebsgesellschaft umgewandelt. Ab diesem Zeitpunkt wurden neben der Nylonfaser auch die ICI-Polyester Marken TERYLENE und CRIMPLENE über diese Gesellschaft vermarktet. Geschäftsführer wurde Peter Schmitt, der zuvor schon Geschäftsführer des BNS-Faservertriebes war.

Die ICI-Faservertriebsgesellschaft bestand aus drei Niederlassungen: Das 1966 neu gegründete Verkaufsbüro Mitte befand sich in der Bockenheimer Landstraße in Frankfurt mit Zuständigkeit für Rheinland-Pfalz, Hessen, Saarland, Unterfranken sowie West-Berlin. Das Verkaufsbüro in Stuttgart war für die Textil-Ballungszentren m Süden (Bayern, Baden-Württemberg) und das Verkaufsbüro in Düsseldorf für das Rheinland und Westfalen zuständig.

Neben regelmäßigen Kundenbesuchen und Marketingaktivitäten gehörte auch der regelmäßige Austausch mit dem Faserwerk in Östringen, insbesondere mit der Textiltechnischen Entwicklungsabteilung (TEA) zu den Hauptaufgaben.

Im Oktober 1970 fusionierte die ICI-Faservertriebsgesellschaft mit der ICI Deutschland GmbH und Peter Schmitt, bis dahin Geschäftsführer der Faservertriebsgesellschaft, wurde Generaldirektor der ICI Deutschland. Der Schritt war notwendig, da die ICI in Deutschland in den letzten Jahren sehr stark expandierte. Obwohl sie, gerade auf dem deutschen Markt, in einem harten Wettbewerb mit der einheimischen Chemieindustrie stand, war es ihr gelungen, ihre Marktanteile stetig zu erhöhen.

Bürogebäude der Deutsche ICI GmbH in Frankfurt-Niederrad

Kurz darauf, im Januar 1971, erfolgte der Umzug mit allen Mitarbeitern aus der Stresemannallee und der Bockenheimer Landstraße in das neue 20-stöckige ICI-Haus in der Bürostadt Niederrad, in dem ICI zwölf Stockwerke angemietet hatte. Schon von der Autobahn aus weithin sichtbar, prangte das ICI-Firmenlogo vom oberen Stockwerk des Hochhauses.  Die stetige Expansion auf dem deutschen Markt sowie die Zusammenfassung aller Vertriebsaktivitäten in Frankfurt hatten dazu geführt, dass die bisherigen Räumlichkeiten nicht mehr ausreichend waren. In seiner Rede anlässlich der offiziellen Einweihungsfeier  am 15. Juni 1971 machte Peter Schmitt die dynamische Expansion auf dem deutschen Markt mit einem Vergleich deutlich: „Gestatten Sie mir einen kurzen, trockenen Vergleich: Vor zehn Jahren betrug das ICI-Geschäft in Deutschland kaum 400.000 Pfund Sterling im Jahr, heute sind es über 40 Millionen Pfund Sterling. Das ist mehr als das Hundertfache.“

Gründung der Deutsche ICI GmbH

ICI-Werbung an der Außenfassade des als Bürogebäude genutzten Junior-Hauses am Kaiserplatz in Frankfurt a. M., ca. 1972

Ein Jahr später, 1972, wurden dann alle ICI-Aktivitäten auf dem deutschen Markt neu organisiert: Die Sparten der Fasern, Chemikalien, Kunststoffe, Farbstoffe und Pflanzenschutzmittel wurden in der Deutschen ICI GmbH (Frankfurt) zusammengefasst. Später kamen mit den Bereichen PVC und Polyurethane noch zwei weitere hinzu. Weiterhin fungierte die Deutsche ICI auch als Holding für die in Deutschland ansässigen Produktionsstätten der ICI, so auch für die ICI (Europa) Fibres GmbH in Östringen.

Nach dem Zusammenschluss alle ICI-Gesellschaften zum Deutschen ICI-Konzern wurde mit dem Management Board ein Gremium gebildet, das die Brücken zwischen den einzelnen Gesellschaften schlagen sollte. Das Management Board tagte unter der Leitung des Vorsitzenden der Geschäftsführung, Prof. Peter Schmitt. Ferner gehörten dem Gremium die weiteren Geschäftsführer der Deutschen ICI sowie die Geschäftsführer der ICI-Tochtergesellschaften in Deutschland an.

Bild aus dem ICI-Spiegel Nr. 7 vom Dezember 1977

Die Deutsche ICI war in dem Spannungsfeld einer „Multimatrix“- Organisation des Gesamtkonzerns eingebunden: Basis war die Matrix der Deutschen ICI und ihrer Tochtergesellschaften in der Bundesrepublik Deutschland. Darüber befand sich der Wirkungskreis der europäischen ICI-Zentrale in Brüssel (Everberg) sowie der ICI-Hauptverwaltung mit dem Main Board der Imperial Chemical Industries PLC Corporate in London. Dazu kamen die Division Manager der einzelnen Produktsparten z. B. der Fibres Division in Harrogate, die direkten Einfluss auf ihr Geschäft und die Produktion nahmen. Interessenskonflikte waren in dieser Konstellation vorgezeichnet und die Vorgaben kollidierten dabei nicht selten mit bestehenden lokalen Gesetzen, wie z. B. Sicherheit, Competition, Industrial Relations.

Organigramm der Deutsche ICI-Gruppe aus dem ICI-Spiegel Nr. 3 vom
März 1977

Als nationale Vertriebsgesellschaft nahm der Vertrieb in Frankfurt eine herausragende Stellung ein: Er übernahm die Mittlerrolle zwischen den über 30 Produktionswerken bei ICI und dem Markt mit über 2.000 Kunden in der Bundesrepublik Deutschland.

Geschäftsführer für den Vertrieb war seit 1976 Gustav Dierssen, der 1981 auch die Nachfolge von Prof. Peter Schmitt als Vorsitzender der Geschäftsführung der Deutsche ICI GmbH übernahm.

Der Vertrieb war in sieben Verkaufssparten gegliedert, die jeweils einen größeren Produktbereich abdeckten.

Organisationstriktur nach Vertriebssparten aus dem ICI-Spiegel Nr. 20 vom Juli 1980
Broschüre „ICI in der Bundesrepublik Deutschland“, 03/1987

Dass es ICI in Deutschland gelungen war, sich in einem Markt, in dem einige der größten Chemiefirmen der Welt zu Hause waren, erfolgreich durchzusetzen, lässt sich auch mit eindrucksvollen Zahlen belegen: Seit den Anfängen 1958 entwickelte sich aus einem kleinen Verkaufsbüro ein Firmenverbund mit zahlreichen Produktionsstätten. Der Umsatz konnte von praktisch null auf über drei Milliarden DM gesteigert werden und aus wenigen Mitarbeitern wuchs auf mehr als 6.000.

Niederlassungen der ICI in Deutschland

Im folgenden Abschnitt werden die wichtigsten Niederlassungen der Deutsche ICI GmbH kurz vorgestellt. Die Informationen wurden dem ICI Spiegel Nr. 61 vom September 1988 entnommen:

Broschüre „ICI in der Bundesrepublik Deutschland“, 03/1987

Deutsche ICI GmbH, Frankfurt am Main

ICI Atlantik, ICI Wilhelmshaven

ICI Pretechnik, Löhne

ICI Speciality Chemicals, Essen

Tribol GmbH, Mönchengladbach

Fiberite GmbH, Mönchengladbach

ICI Lacke Farben GmbH, Hilden

ICI Pharma,  Plankstadt

ICI (Europa) Fibres, Östringen

Vereinigte Kunststoffwerke GmbH (VKW), Staufen

ICI Lacke Farben (Siebdruck), Nürnberg

ICI Polyurethane GmbH, Deggendorf

Umzug der Deutsche ICI nach Heddernheim

Am 6. Oktober 1986 gab das ICI Main Board grünes Licht für den Bau eines neuen Bürogebäudes im Norden Frankfurts, im Stadtteil Heddernheim. Die Deutsche ICI war einer der ersten Bauherren in diesem neuen Baugebiet. Gemäß den Planungen des Baudezernats der Stadt sollte in Heddernheim  innerhalb der folgenden 10 Jahre eine neuen Bürostadt ähnlich wie in Niederrad entstehen.

Das neue Bürogebäude sollte nach dem neuesten Stand von Architektur und Bautechnik gebaut und mit modernster Infrastruktur ausgestattet werden. Noch vor Baubeginn wurde eine abteilungsübergreifende Projektgruppe „Heddernheim“ gebildet, die sich aus Mitarbeitern der verschiedenen funktionellen Arbeitsbereiche zusammensetzte, um alle Belange und Wünsche der Mitarbeiter zu berücksichtigen.

Ende Juni 1987 erfolgte der erste Spatenstich und im Oktober 1988 war das neue Bürogebäude planmäßig fertiggestellt, so dass die Mitarbeiter nach 15-monatiger Bauzeit am ersten Wochenende im November umziehen konnten.

Neues ICI-Bürogebäude in Heddernheim, ICI-Spiegel Nr. 61, September 1988

Der Faservertrieb wird nach Östringen verlegt

Ankündigung der Verlegung des Faservertriebes nach Östringen

Im Vorfeld des geplanten Verkaufes der Fasersparte durch ICI wurden die Aktivitäten der Fibres Sparte (Produktion – Marketing – Verkauf – Distribution) zusammengefasst. In diesem Zusammenhang wurde die gesamte Abteilung des Faservertriebs im Verlauf des 4. Quartals 1991 in das Faserwerk in Östringen verlegt.

Nach einem größeren Umzug konnte der Vertriebsinnendienst sowie der Verkauf im 2. Obergeschoss des Verwaltungsgebäudes untergebracht werden. Organisatorisch verblieb die Verkaufsabteilung zunächst unter der Verantwortung der Deutschen ICI GmbH.

Die Deutsche ICI GmbH gibt den Standort Frankfurt a. M. auf

Anfang 1996 war Hans-Jürgen Kremer, der langjährige Personaldirektor des Östringer Faserwerkes, zum alleinigen Geschäftsführer der Deutsche ICI GmbH in Frankfurt a. M. ernannt worden. In dieser Funktion war er gleichzeitig als Geschäftsführer weiterer ICI-Gesellschaften sowie als Aufsichtsratvorsitzender bzw. Verwaltungsratsvorsitzender mehrerer ICI-Gesllschaften in Deutschland und der Schweiz tätig.

Nach dem gescheiterten Übernahmeversuch der ICI Ltd. durch Lord Hanson wurde der britische Traditionskonzern durch einen radikalen Konzernumbau auf Rendite getrimmt. (Siehe hierzu den Bericht von David James www.dienylon.de/die-hanson-uebernahme/).

ICI trennte sich von einigen der ehemals wichtigsten Sparten, z. B. Fibres und Pharma, und konzentrierte sich fortan auf das konsumnahe Farbengeschäft und das profitable Geschäft mit chemischen Spezialprodukten. Dieser Konzernumbau hatte auch große Auswirkungen auf den Standort der Deutsche ICI in Frankfurt. Im Jahr 2001 gab die Deutsche ICI ihren Standort in Frankfurt auf und transferierte den Firmensitz und die wichtigsten Aufgaben zum Standort der ICI in Emmerich (Unichema GmbH).