Autor: David James

Der 1991 fehlgeschlagene Übernahmeversuch von ICI durch Lord Hanson, Hintergrund Informationen und die Auswirkung auf ICIs’ Zukunft als Global Player – eine persönliche Ansicht. Notizen aus der Erinnerung, 2020 zusammengestellt von David James anlässlich der Gründung des Nylon Archivs und Museums in Östringen.

Ausgangssituation der ICI

Ohne Zweifel war der Übernahmeversuch durch Hanson 1991 ein wesentlicher Wendepunkt in der Geschichte und weiteren Entwicklung von ICI. Die folgende Erörterung umreißt die Gedankenwelt hinter dieser Aussage.

Zu dieser Zeit war ICI einer der fünf großen Chemiekonzerne der Welt. ICIs Hauptkonkurrenten waren DuPont (USA) und die drei deutschen Konzerne BASF, Bayer und Hoechst. In den davor vergangenen 40 Jahren hatte jeder der fünf großen Chemiekonzerne seine Aktivitäten außerhalb seiner traditionellen Märkte erweitert und alle fünf waren zu globalen Konzernen ausgebaut worden – sogenannte Global Players.

Aber schauen wir einige Jahre zurück! In den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts entschied sich British Nylon Spinners (BNS eine Tochtergesellschaft von ICI und Courtaulds) dafür, Polyamid 6.6 (Nylon 6.6)-Fasern und Garne in Östringen zu produzieren. BNS konnte durch die darauffolgenden Investitionen eine strategisch wichtige Marktpräsenz in der damaligen Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) etablieren. Diesen Schritt kann man als Teil einer generellen Globalisierungswelle betrachten, die sich seit 1950 beschleunigte. Das Nylon 6.6 Polymer-Werk, das den für Östringen wichtigsten Rohstoff produzierte, wurde gleichzeitig im niederländischen Rozenburg gebaut. Parallel dazu hatte ICI eine Tochtergesellschaft – Fiber Industries Inc. – für die Produktion von Polyester Polymer und Fasern in den USA gegründet. 1964 erwarb ICI die Courtaulds Anteile an BNS und danach wurde das Nylon-Geschäft in ICI Fibres voll integriert. Somit wurde Östringen zusammen mit dem etwas später gegründeten Werk Offenbach/Pfalz zu einem der größten Produzenten von Nylon- und Polyester-Garnen in Europa.

Für Hanson war 1991 diese „globale“ Präsenz und besonders auch die attraktive Marktposition in dem inzwischen vergrößerten und in Europäische Union (EU) umbenannten Wirtschaftsraum zweifelsohne von besonderem Übernahmeinteresse.

Portrait James Hanson

James Hanson, seit 1976 auch mit dem Adelstitel „Lord“ ausgezeichnet, war eine der schillerndsten Persönlichkeiten im britischen Wirtschaftsleben der damaligen Zeit. Zusammen mit seinem Partner Gordon White gründete er in den 1960er Jahren die Firma Hanson Trust. Sein für die damalige Zeit ungewöhnliches Geschäftsmodell bestand im Wesentlichen darin, Firmen aus unterschiedlichsten Branchen, die wirtschaftlich in schwieriger Lage oder unterbewertet waren, aufzukaufen und unter dem Dach der Holding Hanson Trust zu sanieren bzw. unrentable Firmenteile abzustoßen („Asset Stripping“). Dieses Geschäftsmodell, das in unserer Finanz- und Wirtschaftswelt von sogenannten Finanzinvestoren (ein deutscher Politiker bezeichnete sie auch einmal als „Heuschrecken“) betrieben wird, stellt heute nichts Ungewöhnliches mehr dar. Damals jedoch war dieses Geschäftsmodell neu und so gesehen, kann man Hanson als einen der Vorreiter einer Zeitenwende in der Finanz- und Wirtschaftswelt betrachten.

Sein größter Coup bis dahin war der Erwerb der britischen Imperial Tobacco Group PLC, einem international tätigen Mischkonzern, der neben dem Tabakgeschäft auch in der Brauerei- und Lebensmittelbranche tätig war. Sein eigentliches Ziel jedoch war es, Zugriff auf den firmeneigenen und gut ausgestatteten Pensionsfond von Imperial Tobacco zu bekommen, um damit die Transaktion zu finanzieren. Dies konnte allerdings in letzter Instanz verhindert werden.

Auch in seinem Privatleben hatte Hanson einiges zu bieten: Neben Beziehungen zu den Schauspielerinnen Jean Simmons und Joan Collins war er in der 1950er Jahren auch zeitweise mit Hollywoodstar Audrey Hepburn verlobt.

Lord James Hanson (1922 – 2004), Foto: Daily Telegraph

Das Übernahmeangebot

Lord Hanson hatte zu dieser Zeit in der Londoner City einen Ruf für erfolgreiche Akquisitionen, gefolgt von erheblichen Kostenreduktionen. In globalen Finanzkreisen fand die damit verbundene kurzfristige Gewinnsteigerung Beifall. Allerdings hat diese viel größere Betonung auf kurzfristige Ergebnisse oft zu einer drastischen Kürzung der Ausgaben für Forschung und Entwicklung geführt und somit den längerfristigen Interessen der übernommenen Firmen möglicherweise geschadet.

Die Bekanntmachung im Mai 1991, dass Hanson einen 2,8 %igen Anteil von ICI an der Londoner Börse gekauft hatte, löste im Vereinigten Königreich und ganz besonders im Londoner Hauptquartier von ICI große Empörung aus. Der Vorschlag, dass Hanson Industries und ICI fusionieren sollten, wurde vom ICI-Vorstand abgelehnt und ICI entschied sich für weitreichende Verteidigungsmaßnahmen.

Einige Tage danach haben 106 britische Abgeordnete vor dem Parlament Forderungen nach besseren und strikteren gesetzlichen Regelungen bezüglich feindlicher Übernahmen eingebracht (Ref. 1). Über die Ereignisse wurde sowohl in der Britischen und kontinental Europäischen Presse als auch in den USA berichtet (Ref. 2).

ICIs Verteidigungsstrategie unter der Leitung von Chairman Sir Denys Henderson hatte folgende Hauptsäulen:

  • Investmentbanker wurden als Berater des Vorstands unter Vertrag genommen.
    Sparten, die nicht zu den Kernbereichen des Unternehmens gehören, sollten verkauft werden.
    Der „ICI Pensions Fund“ wurde durch entsprechende Maßnahmen gegen räuberische Plünderer (Unternehmer!) abgesichert und die Leistungen erhöht.
  • Die Leitenden Angestellten in Deutschland, die nicht durch das Betriebsverfassungsgesetz abgesichert waren, wurden mit Verträgen ausgestattet, die ihnen mehr Rechtssicherheit und im Fall einer Entlassung eine hohe Abfindungen garantieren sollten.
  • Darüber hinaus wurden viele kleinere Maßnahmen, die in der Summe „Asset Stripping“ weniger attraktiv machen sollten, eingeleitet.
Foto: ICI Spiegel Nr. 55, Mai 1987

Diese fünf Säulen zusammengenommen, sollten die langfristigen Interessen der Firma und ihres Personals besser schützen.

Was ist danach passiert?

Innerhalb von wenigen Monaten fanden große Verkäufe von Geschäftsbereichen außerhalb des Kerngeschäfts statt. Von besonderer Bedeutung waren der Verkauf der Grundchemikalien der Agro Division und das Soda Ash Geschäft.

Die gefürchtete Hanson-Übernahme kam am Ende nicht zu Stande, die Verteidigungsmaßnahmen von ICI waren ausreichend.

Ende Januar 1992 erklärte Lord Hanson auf der Jahreshauptversammlung seines Konzerns, er habe niemals die Absicht geäußert, ein Übernahmeangebot für ICI abzugeben und habe es auch in Zukunft nicht vor. Das alles seien Medienspekulationen und Marktgerüchte.

Anfang Mai verkaufte er sein Aktienpaket für 280 Millionen Pfund, was etwa 2,8 % des ICI-Börsenkapitals ausmachte. Der ICI-Deal brachte ihm immerhin einen Kursgewinn von etwa 28 Millionen Pfund.

Nachträgliche Bewertung

Natürlich wäre es einseitig anzunehmen, dass allein der Übernahmeversuch durch Hanson und der daraus folgende kulturelle Wandel durch die Aufnahme eines Investmentbankers in den Konzernvorstand die ausschließliche Ursache für die endgültige Zerschlagung von ICI wäre. Es war jedoch einer der bedeutendsten Faktoren.

Vier Jahre später (1995) wurde ein Artikel „Why ICI Chose to Demerge“ in der Harvard Business Review publiziert. Er war verfasst von Geoffrey Owen von der London School of Economics und Trevor Harrison, dem General Manager of Planning, ICI Group von 1989 bis 1993.

Die folgenden zitierten Passagen des Artikels betreffen:

  1. Die Erwägungen im Oktober 1991, nachdem klar war, dass Hanson seine Übernahmestrategie nicht weiter verfolgen würde
  2. Die aktuelle Sichtweise aus der Situation vier Jahre später (1995):
    “…… Henderson decided that an outsider’s view would be helpful in searching for a solution, and John Mayo, a director of ICI merchant banking advisers S.G. Warburg ……. became that adviser at the end of the year”

    (Zitat Erklärung: 1991 entschied sich Denys Henderson als Vorstandsvorsitzender für John Mayo von der S.G. Warburg als Vorstandsmitglied)

    “Mayo contributed more than investment banking skills … “

    “The Hanson takeover scare and the dialogue during the demerger exercise have had lasting effects”

    “So far (NB in 1995) the demerger of ICI has been a success………… In the longer term the two companies are still on trial” (Zitatende)

Mayos Einfluss war bedeutend und die Akzeptanz seiner Analysen durch den ICI-Hauptvorstand veränderte auf radikale Weise das Unternehmen für immer. Er trieb die Umstrukturierung (Demerger) des Unternehmens voran, mit dem Ziel, dass sich ICI mehr auf die Bereiche der Spezialchemie konzentrieren sollte, die hohe Gewinnmargen versprachen. In dieser Zeit wurde der damals neu erfundene Begriff des „Shareholder Value“ zur Unternehmensphilosophie für ICI.

Die klassischen Sparten der Grund- und Schwerchemie hingegen, mit denen ICI groß geworden war, wurden als wenig profitabel angesehen und größtenteils veräußert. In diesem Kontext ist auch der Verkauf der ICI-Fasersparte im Jahr 1993 an DuPont zu sehen.

Weiterhin leitete Mayo die Abspaltung der höchst profitablen ICI-Pharmasparte unter dem Namen „Zeneca“ ein, deren Finanzdirektor er von 1993 bis 1997 war. Im Verlauf seiner Karriere übernahm er später die Funktion als Finanzdirektor bei dem britischen Telekom Unternehmen Marconi, wo er 2001 im Zuge der Verwerfungen des Neuen Marktes für die Beinahe-Pleite des Unternehmens mitverantwortlich gemacht wurde und zurücktreten musste.

Das Ende von ICI

Eine Übersetzung (geringfügig ergänzt) aus dem englischsprachigen Wikipedia-Artikel (Ref.3) „Imperial Chemical  Industries“ liefert eine geeignete Schlussbetrachtung für dieses Essay:

„Nachdem ein Großteil seiner historisch profitablen Grundchemikalien-Geschäftsbereiche und viele der neu dazugekauften, aber nicht erfolgreich integrierten Spezialchemiebereiche verkauft waren, bestand ICI zum größten Teil aus dem Lack- und Farbengeschäft mit dem Markennamen „Dulux“. Dieses wurde schnell zum Objekt einer Übernahmeofferte von Akzo Nobel.“

11,82 Milliarden Euro haben am Ende gereicht, um den ICI-Vorstand und die ICI-Aktionäre zufrieden zu stellen. Am 2. Januar 2008 existierte ICI PLC im Wesentlichen nicht mehr und seine „Rumpfgeschäfte“ waren in Akzo Nobel integriert oder verkauft worden.

Referenzen:


  1. UK Parliament Early Day Motions, EDM 882 tabled on 22 May 1991
  2. New York Times May 28th 1991, Section D, Page 3
    https://apnews.com/article/469a7664dd84fdd81f52eed3ff3445b56
  3. Wikipedia English Edition: Imperial Chemical Industries
  4. Harvard Business Review, Why ICI Chose to demerge, by Geoffrey Owen and Trevor Harrison, March-April 1995 Issue