Autor: David James

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Die modernen europäischen Textilfilament-Webereien sind zum größten Teil Nachfolger der traditionellen Seidenwebereien. Sie verfügen über eine reiche Geschichte, die ihre Wurzeln in den frühen Jahren der industriellen Revolution hat. Die Mentalität war daher eine andere als die der modernen Zweige der Textilindustrie wie Wirkerei, Rundstrickerei und ihrer Throwsterzulieferer (Texturierer). Dort werden vor allem synthetische Filamentgarne verarbeitet.

Traditionell wurden in der Textilfilament-Weberei die geschlichteten Kettbäume auf den Webstuhl gebracht und das Schussgarn wurde darüber geschossen (traditioneller Webstuhl, oder Sulzer Webstuhl) oder gezogen (Greifer Webstühle). In den 1960er und 1970er Jahren wurden neuartige Wasserdüsenwebstühle und Luftdüsenwebstühle erfunden – ursprünglich hergestellt in Japan (Nissan) und kurz danach in der Schweiz (Rüti).

Bei diesen neuartigen Webstühlen ist das Schiffchen für das Schussgarn weggefallen! Nun wurden die Schussgarne mit Wasserjets oder Luftjets über die Kettgarne geschossen. Der Schussgarneinsatz mit diesen neuen Webstühlen nahm die Kettgarne weniger in Anspruch. So gab es neue Möglichkeiten für technisch differenzierte Garne in Kette und Schuss und häufig konnte auf das kostspielige Schlichten der Kettgarne verzichtet werden. ICI Fibres Garnverwirbelungstechnologie bot hier Vorteile an.

ICI Fibres hatte in den EFTA-Ländern traditionell sehr hohe Marktanteile im Segment Nylon Textilfilamente (Filament Weaving), war aber kaum noch präsent im EWG-Raum. 1974 wurde entschieden größere Präsenz in den EWG-Länder (EEC6) für ICI Fibres zu etablieren.

Der Markt und die Konkurrenten

In den Textilfilament-Webereien wurden Stoffe für viele Anwendungsgebiete gewebt, wobei die verschiedenen Garnarten abhängig von spezifischen Faktoren, z. B. Kosten, technischen und ästhetischen Eigenschaften, für jeden Einsatz miteinander konkurrierten:   

  • Futterstoffe: Nylon 6 und Nylon 6.6, Polyester und Viscose/Rayon
  • Damen und Herren Sportbekleidung: Nylon 6 & Nylon 6.6 in Konkurrenz mit Baumwolle und Baumwolle/Polyester Mischungen.
  • Militär Oberbekleidung: Ähnliche Konkurrenz-Situation wie bei Sportswear
  • Computer Tapes: Nylon 6.6 dominierte
  • Segeltuch: Hier war Polyester der Hauptspieler. Die hierfür produzierten Garne fanden auch Anwendung in Nähgarnen.
  • Spinnaker: Nylon 6.6 
  • Heißluft Ballons: Nylon 6.6 
  • Schirmstoff: Nylon 6 und Nylon 6.6
  • Bandweberei: Nylon 6, Nylon 6.6 und Polyester
  • Krawatten Weberei: Seide und Polyester
  • Damen Oberbekleidung: Seide, Polyester und die Naturfaser Baumwolle und Wolle

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Der Markt wurde Anfang der 1970er Jahre von den folgenden Faserherstellern beliefert:

  • ICI Fibres: Nylon 6.6 und Polyester
  • Snia Viscosa: Viscose und Nylon 6
  • Montefibre: Nylon 6.6
  • Aquafil: Nylon 6
  • Radicci: Nylon 6
  • Hoechst: Polyester
  • Akzo/Glanzstoff: Polyester und Nylon 6
  • Rhone Poulenc:  Nylon 6.6
  • Fabelta: Nylon 6.6

Die größten Webereien und damit wichtigsten Kunden in den einzelnen Ländern waren:

  • Großbritannien: Carrington and Dewhurst, Courtaulds, William Reed
  • Holland: Ten Cate
  • Belgien: Sofinal, Concordia, Fabelta
  • Deutschland: Pott und Hinrichs, Steiger und Deschler, Gebrüder Colsman
  • Italien: SGAT, Ambrosiana Marra, Gavazzi, Tessitura di Rovereto
  • Schweiz: Tessitura di Stabio
  • Schweden: FOV
  • Norwegen: Norion
  • Finnland. Finlayson
  • Frankreich. Texunion, Tissage Blanchin

Bei ICI Fibres gab es Produktionsstätten für die Filament Weberei:

  • Gloucester (UK)
    Hier wurden alle Nylongarne für den Bekleidungssektor und Schirmstoffe mit Titern von 44 bis 228 dtex hergestellt
  • Östringen (DE)
    Hier wurden alle Nylongarne für
    Computer Tapes (33 f 26 dtex und 44 f 34 dtex)
    – Heißluftballonstoffen und Spinnaker (33 F 26 dtex)
    hergestellt.

Ausweitung des Marktanteils

Wie schon oben erwähnt, hatte ICI bis Mitte der 1970er Jahre eine sehr starke Marktpräsenz in der EFTA, war aber kaum präsent in den EWG-Märkten.

Nach der strategischen Entscheidung einer großen Präsenz in den EWG-Märkten (und dem Beitritt Großbritanniens in die EEC) wurde bis in die frühen 1980er Jahre ein profitabler und führender Marktanteil in ganz Europa für ICI Nylon Filament Garne etabliert. Der Marktanteil betrug bis dahin über 30 %. In den speziellen Bereichen Computer Tapes und Heißluftballonstoffe war der Marktanteil weit über 50 %. Es ist ICI auch gelungen signifikante Marktanteile in Nordamerika zu gewinnen – auf Kosten des zukünftigen Besitzers Du Pont! Schneider Mills in USA und Consolidated Textiles in Kanada sind dabei Großkunden geworden.

Positionierung der ICI Fibres in den einzelnen Marktsegmenten Mitte der 1980er Jahre

Marketing-Highlights

Textilfilament-Garne aus Nylon von ICI hatten einen ausgezeichneten Ruf am Markt und waren bekannt als qualitativ hochwertig. Traditionell haben die Textilfilament-Webereien ihre Stoffe unter eigenen Namen vermarktet, oft mit einem Bezug zu ICI-Nylon wegen der qualitativen Assoziierung. Für die technischen Anwendungen – Computer Tapes und Spinnaker/ Heißluftballonstoffe – war ICI-Nylon und der Fasertyp spezifiziert.

Ende der 1970er Jahre definierte der Trade Sector Filament Weaving eine neue hochwertige aber noch theoretische Marktnische. Es wurde erkannt, dass die tensilen und Färbereieigenschaften von Nylon 6.6, verbunden mit einer neuen Naturoptik und baumwollähnlichem Griff, ein neues, hochwertiges Marktsegment in Sportswear – vor allem Skiwear – eröffnen könnten. Das ICI Fibres Textile Centre in Harrogate definierte die ersten texturierten Filament Garne, die im Schuss über glatte ICI-Garnketten für diesen neuen Markt gewebt werden sollten. Danach arbeitete das Textile Centre zusammen mit der ICI Gloucester Verfahrensentwicklung an den ersten Proben, die im Textile Centre in gewebten Stoffen ausgewertet wurden – alles streng geheim! Ende 1980 war die neue Schussgarnpallette definiert und es wurden Geheimnisvereinbarungen mit führenden europäischen Webereien abgeschlossen, sodass die ersten kommerziellen Stoff Kollektionen entwickelt werden konnten – das Embryo von Tactel® war kreiert!

Bericht von der INTERSTOFF in Frankfurt a. M. ICI-Spiegel Nr. 45, Juni 1985

Die ersten ausgewählten Webereien für die Markteinführung waren:

  • Tessitura di Rovereto und Ambrosiana Marra, Italien
  • Tessitura di Stabio, Schweiz
  • Texunion, Frankreich
  • William Reeds , UK
  • Norion, Norwegen
  • Finlayson, Finnland
  • Consolidated Textiles, Kanada

Die Stoffentwicklungen der ausgewählten Webereien waren sehr erfolgreich und die führenden, hochwertigen Skiwear Häuser Europas konnten überzeugt werden, die neuartigen Stoffe in Ihre neuen Skiwear Kollektionen aufzunehmen – auch wegen ICI’s großangelegter Tactel®-Marketingkampagne. Wirklich tolle neuartige Skiwear waren die Vehikel für die Markteinführung bei der ISPO in 1983. Die Konfektionshäuser waren:

  • Fila und Belfa, Italien
  • Luhta, Finnland
  • Helly Hanson, Norwegen
  • Schöffel, Deutschland
  • Montcler, Frankreich

So wurde Tactel® am Anfang erfolgreich eingeführt im hochpreisigen Segment. Kurz danach entschied sich der ICI Fibres Vorstand ein breiteres Anwendungsgebiet für den inzwischen guten Namen Tactel® zu ermöglichen. So sollte dieser Markt für ICI’s Throwster-Kunden geöffnet werden und die ersten POY Garne für die Throwsters in Östringen entwickelt. Für eine ausführliche Beschreibung der Erweiterung der Tactel®- Familie siehe Bericht „Tactel® Nylon, eine Erfolgsgeschichte“ von Petra Dietel.

Im Segment Polyester Filament Weaving war ICI bekannt für das Terylene®_Angebot für Segeltuche – ein kleiner, aber feiner Markt. ICI’s Präsenz im Segel-Markt wurde verstärkt durch den sehr hohen Nylon Marktanteil in Spinnaker-Stoffen – siehe oben. Alle Angebote für den Segelmarkt wurden in Östringen produziert. Marketingaktivitäten schlossen ein Sponsoring der Kieler Woche ein, als Teil des noch größeren, vom Konzern finanzierten ICI Record-Marketing Programms.

Bericht über Segeltuchgarne aus dem ICI-Spiegel Nr. 23, März 1981

ICI Record war eine Sammlung von Sponsoring Aktivitäten im ganzen Sportbereich – Formel Eins, Damen Abfahrt im Ski World Cup (Tactel®-Sportwear) und Segeln. Hier fanden Anwendungen für Produkte von vielen ICI Divisions statt, vor allem Plastics, Paints und Fibres Divisions.

Bericht über das ICI RECORD Team aus dem ICI-Spiegel Nr. 29, April 1982

Obwohl Polyester Filament Garne in der Strickerei große Anwendungen für Damen-Oberbekleidung fanden, war Ihr Nutzen in der Filament-Weberei in Europa und Amerikas begrenzt.

In den 1970er Jahren haben japanische Webereien mit großem Erfolg feine Polyester-Stoffe für Damenoberbekleidung neu entwickelt. Diese seidenähnlichen Stoffe wurden von Japan aus im großen Stil in die ganze Welt exportiert. Die Feinheit der Stoffe war erzielt durch einen Ausrüstungsprozess, in welchem relativ schweres Polyesterfilament-Gewebe auf 30 % des ursprünglich gewebten Gewichts reduziert wurde. Die groben Filamente im Gewebe wurden zu feinen Filamenten reduziert, in- dem die äußere Faserstruktur durch ein Alkali ausgelöst wurden.

Im ICI-Werk in Pontypool entstand eine wunderbare und allererste Polyester Spinn/Draw/Texturier Maschine, die in Ihrem Design im Fibres Research Department konzipiert worden war. Die ersten Anwendungen sollten im großen Wirkerei-Markt stattfinden, aber die Entwicklungen dafür fanden leider keine Marktakzeptanz. Dagegen sah der Filament Weaving Sector aber theoretische Möglichkeiten, feine, seidenähnliche Gewebe direkt aus Microfaser zu weben, sodass der Einsatz von komplexen und umweltunfreundlichen Alkali-Ausrüstungsprozessen nicht nötig sein würde.

So wurden vom ICI Fibres Filament Weaving Sector und dem Textile Centre in Harrogate die ersten Mikrofasern der Welt definiert. Das Hauptprodukt war ein trilobales, 66 f 72 dtex Garn mit 72 Filamenten, die mit hohen Geschwindigkeiten nach einem Spin-Draw-Texturierverfahren aufgewickelt wurden. Um die Feinheit der Filamente für Laien klar darzustellen, lohnt sich eine numerische Erklärung: 10 km eines einzigen trilobalen Filaments hatte ein Gesamtgewicht von 0,916 Gramm! 72 dieser einzelnen Filamente wurden zu einem Filament-Bündel verwirbelt und bei einer Geschwindigkeit von 3.000 – 4.000 Umdrehungen pro Minute aufgewickelt.

Einige europäische Webereien wurden für eine erste Markteinführung gewonnen, führend darunter Gebrüder Colsmann in Essen. Mitrelle® war geboren und hatte bei der Interstoff 1981/1982 seine Markteinführung. Ein langfristiger Erfolg blieb leider aus und heute hat Mitrelle® keine Marktpräsenz mehr.

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Ein Abendkleid aus Mitrelle® ist im Nylon Archiv Östringen heute noch zu bewundern.