Autor: Christoph Wolhfarth

Auf einer Geburtsurkunde der Imperial Chemical Industries, kurz ICI, könnte als Datum der 7. Dezember 1926 stehen, denn an diesem Tag wurde die Eintragung in das Handelsregister mit einem registrierten Kapital von 69 Millionen britischen Pfund in aller Form abgeschlossen. Doch was waren die Gründe, die vier der größten britischen Chemiefirmen, von denen jede für sich auf ihrem Spezialgebiet durchaus erfolgreich am Markt war, dazu bewegten, ihre Eigenständigkeit aufzugeben und sich zu einem Konzern zusammenzuschließen?

Die Ausgangslage

Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs war Großbritannien in Bezug auf viele Pharmazeutika, Feinchemikalien und insbesondere bei Farbstoffen auf Importe aus Deutschland angewiesen. So wurden beispielsweise bis zu 80 % der in England verwendeten Farbstoffe aus Deutschland importiert. Diese Abhängigkeit brachte Großbritannien bei Kriegsbeginn in eine prekäre Situation und so war es ein strategisches Ziel der britischen Industriepolitik nach dem Ersten Weltkrieg, sich bei der Produktion von kriegswichtigen Produkten von ausländischen Importen unabhängig zu machen. Daher kam es 1919 unter Beteiligung der britischen Regierung zur Fusion der führenden britischen Unternehmen der Farbstoffindustrie mit dem erklärten Ziel, die lange vernachlässigte Forschung auf dem Farbstoffgebiet wieder zu aktivieren, um den Anschluss an den Stand der Technik in den anderen großen Industrienationen wieder herzustellen. Die daraus entstandene British Dyestuffs Corporation Ltd war eine der vier Chemiefirmen, aus denen 1926 die ICI hervorging.

Trotz der Anstrengungen der britischen Regierung und Industrie bestand Mitte der 1920er Jahre für Großbritanniens chemische Industrie die Gefahr, in kommerzieller wie auch technischer Hinsicht den Anschluss an die wiederbelebte Industrie in Deutschland sowie die US-amerikanischen Chemiegiganten, z. B. DuPont, zu verlieren. Insbesondere der Zusammenschluss der acht größten deutschen Chemieunternehmen zur I.G. Farben AG im Jahr 1925, darunter so namhafte Firmen wie AGFA, BASF, Bayer und Hoechst, setzte die britische Chemieindustrie zusätzlich unter Druck. Dies führte in Großbritannien zu der Erkenntnis, dass die Bündelung aller wichtigen Einsatzbereiche der Chemie in einem großen Konzern notwendig war, um gegenüber der Konkurrenz aus USA und Deutschland nicht weiter ins Hintertreffen zu geraten.

Die Firmengründung

Die Initiative zur Fusion der größten britischen Chemiefirmen ging von Sir Harry McGovan aus, dem Vorstandsvorsitzenden der Nobel Industries Ltd.  Seine Firma, deren Ursprünge auf eine von dem schwedischen Industriellen Alfred Nobel in Schottland gegründete Niederlassung zurückging, war auf die Produktion von Sprengstoffen und verwandte Produkte spezialisiert. Darüber hinaus hatte sie beträchtliche Geschäftsfelder außerhalb der Chemie, die von Lederbekleidung, Farben und Lacken bis zum Metallsektor reichten. Sir Harry McGovan leitete die Verhandlungen ein, in dem er Sir Alfred Mond, dem Chef der Firma Brunner, Mond & Co. Ltd., einen Plan zur Zusammenlegung der vier größten britischen Chemieunternehmen vorlegte. Alfred Mond führte das Unternehmen in zweiter Generation. Sein Vater Ludwig Mond, ein bekannter Chemiker, der aus Kassel stammte, war nach England ausgewandert und hatte 1873 die Firma gegründet. Ursprüngliches Geschäftsfeld von Brunner, Mond & Co war die Alkali-Erzeugung gewesen. Zum Ende des Ersten Weltkrieges übernahm die Firma von der britischen Regierung eine noch nicht fertiggestellte Fabrikanlage in Billingham am River Tees und begann dort in großem Maßstab eine Produktion von synthetischem Stickstoff aufzubauen. Später wurde das Werk in Billingham zu einer der größten Produktionsstätten der ICI ausgebaut.

Bei einer gemeinsamen Sitzung im Juli 1926, in der Sir Harry McGovan den Direktoren von Brunner, Mond & Co seinen Plan zum Zusammenschluss der vier Gesellschaften vorstellte, kam man überein, eine endgültige Entscheidung zu verschieben, bis Harry McGovan von einer bevorstehenden Reise nach Südafrika zurückgekehrt sei. Dann jedoch überschlugen sich die Ereignisse, denn als er im September nach England zurückkehrte, war Sir Alfred Mond mit einigen seiner Direktoren nach Amerika gereist. Sie wurden erst Mitte Oktober zurückerwartet. Inzwischen war Harry McGovan jedoch fest davon überzeugt, dass jede weitere Verzögerung eine Gefahr für die geplante Fusion bedeutete. Er reiste ihnen in Begleitung eines weiteren Direktors der Nobel Industries nach und kam am Freitag, den 26. September, in New York an. Am darauffolgenden Tag kam es zu einer Besprechung mit Sir Alfred Mond und seinen Kollegen und am darauffolgenden Sonntagmorgen war man sich über den vorgeschlagenen Zusammenschluss einig. Zehn Tage später traten Sir Harry und Sir Alfred gemeinsam die Heimreise an Bord der „Aquitania“ an. Sie nutzten die 6-tägige Seereise von New York nach Southampton zur Ausarbeitung der Fusionspläne. Die Vereinbarung, die in dieser Zeit zu Papier gebracht wurde, war gerade einmal vier Schreibmaschinenseiten lang, enthielt aber bereits alle für den Vollzug des Zusammenschlusses wichtigen Entscheidungen. Dieses Dokument, das den bis dahin größten Zusammenschluss in der englischen Industriegeschichte besiegelte, gilt als das erste offizielle Schriftstück der ICI und wurde als historisches Dokument in hohen Ehren gehalten. Auch ein Name für das neu zugründende Unternehmen war bereits gefunden worden: Imperial Chemical Industries Limited, kurz ICI genannt.

Als Firmenlogo wählte das neue Unternehmen einen Kreis mit zwei Wellenlinien und den drei Buchstaben ICI als Abkürzung für Imperial Chemical Industries.

Der Kreis sollte die Weltkugel symbolisieren und damit den globalen Anspruch des neuen Unternehmens zum Ausdruck bringen, als eine der größten Chemiefirmen weltweit präsent zu sein. Die Wellenlinien sollten daran erinnern, dass die ICI auf dem Wasser geboren wurde: 1926 während einer Atlantiküberquerung an Bord des Passagierdampfers „Aquitania“.

Die dominierenden Partner bei diesem Zusammenschluss waren Brunner, Mond & Co Ltd. und Noble Industries Ltd. Neben den beiden Firmen sollten noch die United Alkali Company Ltd., deren Hauptgeschäftsfeld ebenfalls in der Alkali-Produktion lag, sowie die bereits oben erwähnte British Dyestuffs Corporation, die in der Farbstoffindustrie tätig war, in dem neuen Konzern aufgehen. Im Vorfeld hatte Sir Harry McGovan bereits in Besprechungen mit den Direktoren der United Alkali Company und der British Dyestuffs Corporation die Rahmenbedingungen für eine Fusion abgestimmt. Obwohl keine der beiden kleineren Gesellschaften bei den Diskussionen in New York und auf hoher See vertreten waren, gaben die Direktoren aller vier Konzerne bei einer Zusammenkunft unmittelbar nach Ankunft der „Aquitania“ in Southampton am 12. Oktober 1926 ihre Zustimmung zu den Fusionsplänen.

Sir Alfred Mond wurde zum ersten Chairman der ICI gewählt, sein Stellvertreter (Deputy Chairman) wurde Sir Harry McGovan. Am 8. Dezember 1926, einen Tag nach der Eintragung im Handelsregister, trat der Vorstand („Board“) zum ersten Mal zu einem formellen Treffen zusammen. Bereits zuvor hatten die Direktoren informell zusammengearbeitet. Es waren Ausschüsse bestehend aus Mitarbeitern der beteiligten Unternehmen gebildet worden, die sich mit der Rationalisierung auf kaufmännischem und technischem Gebiet zu beschäftigen hatten.

Damit war die bis dahin größte Unternehmensfusion in Großbritannien formal abgeschlossen. Mit 33.000 Beschäftigten und einem Kapital von 69 Millionen Pfund fühlte sich der neue Konzern gut gerüstet, um mit den großen Chemiekonzernen in Kontinentaleuropa und den USA in Wettbewerb zu treten. ICI stieg bald darauf zu einem der weltweit erfolgreichsten und renommiertesten Unternehmen auf und galt lange als das Aushängeschild der britischen Industrie.

Entwicklung zum Weltkonzern

Neben der Integration der beteiligten Firmen und dem damit verbundenen Aufbau einer neuen Organisation sah es das neue Unternehmen als eine der dringlichsten Aufgaben an, die in Großbritannien seit nahezu 50 Jahren vernachlässigte Forschung auf dem Farbstoffgebiet wieder zu aktivieren, um den Anschluss an den Stand der Technik in den anderen Industrieländern erneut herzustellen.

Die zweite große Aufgabe war die Fertigstellung der Fabrik zur Herstellung von synthetischem Ammoniak und Düngemitteln in Billingham, mit deren Bau Brunner, Mond & Co bereits vor der Fusion begonnen hatte. Das Werk in Billingham, in Nordostengland am River Tees gelegen, entwickelte sich im Laufe der Jahre zu einem der weltweit größten Chemiekomplexe.

Bemerkenswert ist, dass ICI von Anfang an eine eigene Firmenkultur mit einer weltoffenen Unternehmensphilosophie, modernen Management- und Verwaltungstechniken und einem Schwerpunkt auf zukunftsorientierter Forschung entwickelte. Dies traf auch auf das Personal- und Sozialwesen bei ICI zu. So wurde bei der Mitarbeiterführung von Anfang an großer Wert auf Selbstständigkeit und Eigenverantwortung gelegt. Die bereits von Brunner & Mond geschaffenen Einrichtungen zur Arbeitnehmervertretung, z. B. Betriebsräte und die Möglichkeit des Erwerbs von Aktien durch Mitarbeiter wurden von der ICI übernommen und verbessert. Die meisten Mitarbeiter empfanden es als besondere Auszeichnung, für ein fortschrittliches und modernes Unternehmen wie ICI tätig zu sein.

Nur wenige Jahre nach der Gründung der ICI begann 1929 die Weltwirtschaftskrise. Auch wenn ICI nicht in dem Ausmaß wie z. B. der Kohlebergbau und der Schiffsbau betroffen war, blieb das junge Unternehmen dennoch nicht von den Auswirkungen der Wirtschaftskrise verschont. Mehrere tausend Mitarbeiter wurden entlassen und im Juni 1931 mussten die verbliebenen Mitarbeiter eine Kürzung der Löhne um 5 % und der Gehälter um 10 % akzeptieren. Erst ab 1933 ging es wieder aufwärts. Mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wurde die Produktion zunehmend den Erfordernissen der Kriegswirtschaft angepasst. Da man Mitte der 1930er Jahre der Auffassung war, dass die Welterdölreserven nur noch für etwa 20 Jahre reichen würden, hatte ICI bereits vor dem Krieg ein neues Verfahren entwickelt, mit dem sich durch Hydrierung von Kohle Benzin gewinnen ließ. So konnten im ICI-Werk in Billingham zu einem kritischen Zeitpunkt während des Krieges über 200 Millionen Liter Flugbenzin aus der Hydrierung von Kohle gewonnen werden.

Als nach dem Krieg neue Erdölfelder im Nahen Osten, in Nordafrika sowie später in der Nordsee erschlossen wurden, verdrängte das Erdöl die Kohle zusehends als Rohstoff für die chemische Industrie. So wurde u. a. die Herstellung von Ammoniak auf Naphtha (leichtes Rohöl) umgestellt. In Wilton am Südufer des River Tees entstand ein neuer petrochemischer Chemiekomplex. Dort wurde 1951 der erste Erdölcracker von ICI in Betrieb genommen. Der neue Chemiestandort in Wilton wurde mit dem bereits bestehenden ICI-Werk in Billingham, das sich am Nordufer des River Tees befand, über ein Rohrleitungssystem verbunden.

Bild aus dem ICI-Spiegel Nr. 2 vom Dezember 1976

Obwohl ICI als britisches Unternehmen zunächst überwiegend im englischen Mutterland und in den englischen Kolonien unternehmerisch präsent war, legte die Firma von Anfang an Wert auf eine internationale Ausrichtung ihrer geschäftlichen Aktivitäten.

Besonders die 1950er und 1960er Jahre waren geprägt von einer außerordentlichen Expansion. Während bei der Gründung des Unternehmens noch 80 % des Umsatzes auf Grundchemikalien und Sprengstoffe entfielen, wurden nach dem Krieg zahlreiche neue Produkte, deren chemische Grundlagen größtenteils in den Forschungslaboratorien der ICI entdeckt worden waren, zur Marktreife entwickelt. Dabei wurde die Tendenz sichtbar, sich mehr auf höher entwickelte und verfeinerte Produkte zu konzentrieren. Die Produktion von Schwerchemikalien trat dagegen immer mehr in den Hintergrund. Neue Markennamen, die direkt mit dem Unternehmen ICI in Verbindung gebracht wurden, entstanden und setzten sich im Bewusstsein der Endverbraucher fest:    

  • Kunststoffe, z. B. Polyäthylen oder das Polymethylacrylat „Perpex“ sowie die Polyesterfolie „Melinex“
  • Chemiefasern aus Polyester, die unter dem Namen „Terylene“ vermarktet wurden
  • „Procion“-Farbstoffe, d.h. Reaktivfarbstoffe, die eine chemische Verbindung mit Fasern eingehen konnten und damit farbechter und unempfindlicher gegen chemische Reinigung und andere Verunreinigungen, z. B. Schweiß, waren
  • Industrielacke für die Automobil- und Flugzeugindustrie sowie Dekorationslack für den privaten Bereich, z. B. „Dulux“   
  • Selektive Pflanzenschutzmittel zur Unkrautvernichtung und Schädlingsbekämpfung, z. B. „Reglone“
  • Arzneimittel für die Human- und Veterinärmedizin, u. a. zur Bekämpfung von Tropenkrankheiten wie Malaria, zur Behandlung von Herzkrankheiten sowie ein neues Anästhetikum „Fluothane“

Außerdem bildete ICI zusammen mit der Firma Courtaulds ein Joint-Venture mit dem Namen British Nylon Spinners zur Produktion von Nylon für den europäischen Markt. Die Nylonfasern wurden weltweit unter dem Markennamen „Bri-Nylon“ vermarktet.

ICI errichtete neue Produktionsanlagen in Indien, Australien, den USA, Kanada und Südamerika. Auch der europäische Kontinent wurde zu einem Investitionsschwerpunkt. Als Beispiele seien hier der Bau des Werkes in Rozenburg, wo u. a. das Nylonpolymer hergestellt wurde, sowie das Faserwerk in Östringen genannt.     

Im Jahr 1965 wurde mit der ICI (Europa) Ltd. eine eigene Gesellschaft gegründet, die alle ICI-Aktivitäten auf dem europäischen Festland koordinieren sollte. Als Firmensitz der ICI (Europa) wurde Brüssel gewählt, wo auch das Europaparlament angesiedelt war.  Im Jahr 1968 beschäftigte ICI als größte in Großbritannien ansässige Kapitalgesellschaft weltweit etwa 172.000 Mitarbeiter, 125.000 davon in Großbritannien. Darüber hinaus war das Unternehmen zu diesem Zeitpunkt mit über 200 Tochter- und Beteiligungsgesellschaften in 45 Ländern vertreten.

Das Imperial Chemical House

Bereits auf einer der ersten Vorstandssitzungen fiel die Entscheidung zum Bau einer repräsentativen Firmenzentrale („Head Office“) im Zentrum Londons. Hierzu erwarb ICI im Londoner Stadtteil Millbank ein Grundstück direkt am Ufer der Themse und beauftragte den Architekten Frank Baines mit dem Bau eines 9-stöckigen Gebäudes. Das imposante Gebäude erhielt den Namen Imperial Chemical House und wurde Ende 1928, nach einer Bauzeit von 26 Monaten, fertiggestellt. Es bot 1.500 Mitarbeitern einen Arbeitsplatz.

Firmenzentrale der ICI in Millbank (London), direkt an der Themse
Eingangstür ICI-Zentrale

Für Aufsehen sorgte vor allem das Haupteingangstor des neuen Gebäudes: Die beiden Flügel bestanden  aus einer massiven Kupfer-Nickel-Legierung und die darauf aufgebrachten Kupferstiche zeigten Szenen aus dem Leben berühmter Wissenschaftler. Die beiden Torflügel wogen jeweils 2½ Tonnen und konnten nur elektrisch geöffnet und geschlossen werden.

An der Außenfassade der Frontseite waren außerdem noch in Stein gehauene Portraitköpfe der ursprünglichen Gründerväter der beteiligten Firmen, z. B. Ludwig Mond und Alfred Nobel sowie der ersten Vorstandsvorsitzenden und Direktoren, u. a. von Sir Harry McGovan und Sir Alfred Mond, angebracht.

Organisationsstruktur nach Divisions

Durch den ursprünglichen Zusammenschluss wurde die Produktion von so unterschiedlichen Erzeugnissen wie Alkali, Säuren, Chlor, Sprengmitteln, Farbstoffen, Kunstleder, Anstrichmitteln und Nicht-Eisenmetallen in einem Konzern vereint. Es wurden sogenannte „Divisions“ (Sparten) gebildet, in denen die Produktion und Vermarktung gleichartiger Produkte zusammengefasst wurden. In den folgenden Jahren kamen weitere Divisions hinzu, z. B. Kunststoffe, Fasern und Pharmazeutika. Auch kam es immer wieder zu Reorganisationen zwischen den einzelnen Sparten.

Jede Division konnte als selbstständiges Industrieunternehmen betrachtet werden. Sie hatten zwar einen gleichartigen Organisationsaufbau, aber die Zentrale ließ ihnen bei der laufenden Produktion weitgehend freie Hand. Einmal im Jahr fand eine Konferenz des ICI-Vorstands mit den Leitern der einzelnen Divisions statt. Dabei musste von jeder Division ein Dreijahresplan mit einem entsprechenden Produktions- und Investitionsprogramm zur Genehmigung vorgelegt werden.

Auch wenn sie weitgehend unabhängig voneinander agierten, bestanden doch oft auch enge wirtschaftliche Beziehungen zwischen den einzelnen Sparten. Zum einen nutzten sie dieselben Rohstoffe, z. B. Kohle, Erdöl oder Fertigungsverfahren; andererseits bildeten die Fertigerzeugnisse, Halbfabrikate bzw. Nebenprodukte einer Sparte häufig den Ausgangsstoff für eine andere Sparte. Besonders die Tendenz, mehr konsumnahe Chemieprodukte herzustellen, führte zu einer Erhöhung des internen Absatzes konzerneigener Grundchemikalien und vieler Zwischenfabrikate. So entstand nach dem Krieg ein hochkomplexer interner Handel zwischen den verschiedenen Divisions. Von der Konzernspitze gab es die klare Vorgabe, dass eine Division ihre Ausgangsstoffe möglichst von einer anderen Division innerhalb des ICI-Konzerns zu kaufen hatte, selbst wenn dies mit einem kostspieligen Ferntransport verbunden war, der die Waren teurer machte, als wenn sie außerhalb des Konzerns bezogen wurden.

Mitte der 1960er Jahre war der Konzern in neun Divisions aufgegliedert:

Agricultural-Division (Düngemittel, Pflanzenschutz)

Zentrale:       Billingham, County Durham

Die Agricultural-Division hatte die Geschäfte und Vermögenswerte der früheren Billingham-Division übernommen. Sie produzierte überwiegend Stickstoffdüngemittel auf Basis der Ammoniaksynthese durch Bindung von Luftstickstoff. Durch eine Beteiligung an der Plant Protection Limited war sie an dem Zukunftsmarkt der Produktion von Pflanzenschutzmitteln beteiligt.

Bild aus dem Faserspiegel I/3 vom Oktober 1966

Der Anteil und die Bedeutung der Düngemittelproduktion nahm im Laufe der folgenden Jahrzehnte jedoch immer mehr ab. Dagegen nahm die Bedeutung der Produktion von Pflanzenschutzmitteln deutlich zu.

Dyestuffs Division (Farbstoffe)

Zentrale:       Hexagon House in Blackley, Manchester

Das Produktsortiment der Dyestuffs Division umfasste neben Farben und Zwischenprodukten, Pigmenten und Farblacken auch ein umfangreiches Sortiment verwandter organischer Feinchemikalien wie Textilhilfsmittel, Kautschukchemikalien, Kunstharze für hochwertige Anstrichfarben sowie eine Reihe von Zwischenprodukten, die wiederum von anderen Sparten innerhalb der ICI als Ausgangstoffe für ihre Produkte verwendet wurden. Größter Kunde war jedoch die Textilindustrie.

Wie zuvor erwähnt, wurde die Forschung für die Entwicklung neuer Farbstoffe als eine der wichtigsten Aufgaben des neu gegründeten Konzerns angesehen. In den Forschungslaboratorien ihrer Hauptniederlassung in Manchester beschäftigte die Dyestuffs Division mehr als 700 Mitarbeiter, die meisten davon Akademiker mit abgeschlossenem Studium der Naturwissenschaften.

Einer der größten Erfolge war die Entwicklung der ersten reaktiven Farbstoffe, die eine chemische Verbindung mit dem Fasermaterial eingingen und besonders für die Färbung von Kunstfasern geeignet waren: Das Sortiment der „Procion“-Farbstoffe zur Färbung von Cellulosefasern wurde 1956 eingeführt, das Sortiment der „Procinyl“-Farbstoffe zur Anfärbung von Polyamidfasern kam 1959 auf den Markt.

Mit der Zeit hatte die Dyestuffs Division ihr Tätigkeitsfeld weit über ihr ursprüngliches Produktionsprogramm im Farbstoffsektor ausgeweitet und produzierte über 6.000 Chemikalien im Bereich der organischen Chemie. So wurde das erste Nylon-Polymer in Huddersfield, später dann in Billingham und Wilton, unter der Regie der Dyestuffs Division hergestellt.

Fibres Division (Nylon- und Polyesterfasern)

Zentrale:       Harrogate, County Yorkshire

ICI war die erste Firma in Europa, die Nylon- und Polyesterfasern („Terylene“) herstellte. Bereits im Juli 1939 erwarb ICI die Lizenz zur Herstellung und Vermarktung von Nylon in England sowie den Ländern des British Empires mit Ausnahme von Kanada. Da ICI jedoch keine Erfahrung mit dem Spinnen und der Vermarktung von Textilfasern hatte, entschied man sich zusammen mit der Firma Courtaulds Limited ein Gemeinschaftsunternehmen (Joint Venture) zur Produktion von Nylonfasern zu gründen. So wurde am 1. Januar 1940 die Firma British Nylon Spinners (abgekürzt BNS) gegründet, an der beide Partner mit jeweils 50 % beteiligt waren. Während Courtaulds sich um den Aufbau und Betrieb des Schmelzspinnverfahrens in den Werken kümmerte und die dafür erforderlichen Ressourcen bereitstellte, sollte ICI als Unternehmen der Schwerchemie das erforderliche Nylon-Polymer produzieren.

Parallel dazu hatte ICI von der Firma Calico Printers Association die Lizenz zur Herstellung einer weiteren Kunstfaser auf Polyesterbasis („Terylene“) erworben. ICI entwickelte nun in eigener Regie das Herstellungsverfahren von Terylene zur Marktreife und vergab wiederum Lizenzen an andere Hersteller wie DuPont, die Vereinigten Glanzstofffabriken oder Hoechst.

Die steigende Bedeutung der Chemiefaserproduktion führte im Jahr 1956 zur Gründung einer eigenen Fibres Division. 

Als ICI dann zum 1. Januar 1965 die Courtaulds-Anteile an den British Nylon Spinners übernommen hatte, wurden alle Aktivitäten der bisherigen Chemiefasersparte der ICI und die Nylon-Produktion der ehemaligen BNS Werke, darunter auch das neue Faserwerk in Östringen, in der ICI Fibres Ltd., einer 100 %-igen Tochter der Imperial Chemical Industries zusammengefasst.  Hauptprodukte der ICI Fibres waren bis Mitte der 1960er Jahre in erster Linie textile Anwendungen wie BRI*-Nylon® sowie Terylene und Crimplene®, die beide auf Polyesterbasis gefertigt wurden. Daneben kamen Chemiefasern auch in industriellen Anwendungen zum Einsatz, z. B. als Sicherheitsgurte, Transportbänder, Reifencord oder bei Fischernetzen.

Heavy Organic Chemicals Division (Petrochemie)

Zentrale:       Billingham, County Durham

Die Heavy Organic Chemicals Division produzierte in erster Linie große Mengen an organischen Chemikalien, deren Ausgangsstoff vor allem Erdöl war. Die beiden Hauptwerke dieser Division waren Billingham und Wilton und befanden sich an Flussufern des River Tees gegenüber. Für den Industriekomplex aus diesen beiden Werken, die auch durch ein Rohrleitungssystem miteinander verbunden waren, wurde innerhalb der ICI der Begriff „Tees-Side“ geprägt. Der Chemiekomplex galt als die größte petrochemische Anlage außerhalb der USA.

Die dort hergestellten organischen Chemikalien wurden größtenteils als Zwischenprodukte zur Weiterverarbeitung an andere Sparten geliefert. So wurde in der letzten Ausbaustufe bis zu 650.000 Tonnen Äthylen pro Jahr erzeugt. Ferner wurden große Mengen Propylen, Butylen und Butadien erzeugt. Auch die Kapazität für p-Xylol, einen weiteren Ausgangsstoff für die Herstellung von „Terylene“ wurde auf eine Kapazität von 65.000 Jahrestonnen ausgebaut.

Mond Division (Alkali – Chlor)

Zentrale:       Runcorn, County Cheshire

Die Mond Division entstand durch die Zusammenlegung der Alkali-Gruppe und der General Chemicals Division und war in erster Linie Lieferant chemischer Rohstoffe für die Industrie. Zu den wichtigsten Produkten gehörten die Grundchemikalien Chlor, Säuren und Soda. Dazu kam ein reichhaltiges Angebot chlorhaltiger organischer Derivate, die als Lösungsmittel u. a. bei Reinigungsmitteln, aber auch bei der Herstellung von Vinylchlorid, einem Ausgangsstoff für PVC, verwertet wurden, sowie ein Chlorkautschuk, der in der Hauptsache für Industrielacke, Klebstoffe und Druckfarben eingesetzt wurde. Auf der Alkaliseite gehörten neben Soda Natriumhydroxid, Natriumcarbonat, Natriumsilikat sowie Salz, Kalk und Kalkstein zu den wichtigsten Produkten. Als Nebenprodukte zu dem Ammoniaksodaverfahren stellte die Mond Division die wichtigen Industriechemikalien Ammonium- und Calciumchlorid her.

Die Hauptalkaliwerke der Mond Division lagen im Derbyshire und Cheshire im Nordwesten Englands, da es hier reichhaltige  Salz-, Kohle- und Kalksteinvorkommen gab, die die erforderlichen Rohstoffe lieferten.

Nobel Division (Sprengstoffe)

Zentrale:       Stevenston, County Ayrshire

Die klassischen Traditionserzeugnisse dieser Sparte waren handelsübliche Sprengstoffe für Bergbau, Steinbruchbetrieb, Tunnelbau und Ausschachtungsarbeiten. Der größte Teil der Sprengstoffe wurde in dem Ardeer-Werk in Schottland, damals die größte Sprengstofffabrik Europas, hergestellt.

Bild aus dem Faserspiegel II/1, Januar 1967

Nach dem 2. Weltkrieg wurde das Lieferprogramm der Nobel Division zunehmend auf neue Produkte, die keine Sprengstoffe waren, umgestellt. Zu dem neuen Sortiment gehörten Cellulose-Derivate für die Herstellung von Verdickungsmitteln, Emulgatoren und Tapetenkleister sowie Silikon-Kautschuktypen, -harze und -öle, die in der Elektroindustrie, im Flugzeugbau, im Bauwesen und in der Lack- und Textilindustrie zum Einsatz kamen.

Paints Division (Farben und Lacke)

Zentrale:       Slough, County Berkshire

Schwerpunkt des Tätigkeitfeldes der Paints Division war die Herstellung von Industrielacken, deren Wachstum hauptsächlich von der boomenden Automobilindustrie und dem Flugzeugbau angetrieben wurde. Eine Vielzahl von unterschiedlichen Speziallacken wurde für die verschiedensten Einsatzgebiete entwickelt, z. B. Puderdosen, Waschmaschinen und Kühlschränke, Spielzeug, Autos und Großfahrzeuge.

Die mit Abstand bekannteste Marke von ICI Paints war das Sortiment der „Dulux“ – Farben und Lacke. Diese wurden sowohl im professionellen Einsatz von Malerbetrieben als auch im „Do-it-Yourself“-Verfahren von Heimwerkern verwendet. Die Marke „Dulux“ wurde von ICI bis in die 1990er Jahre auch in Deutschland intensiv beworben, u. a. auch mit Fernsehspots „DULUX – feste Farbe“ und ist heute noch in Baumärkten erhältlich.

Abgerundet wurde das Sortiment der Paints Division durch neuentwickelte kunststoffbeschichtete Gewebe und Kunststofffolien für dekorative und technische Zwecke.

Bild aus dem Faserspiegel II/4 vom April 1967

Pharmaceuticals Division (Human- und Veterinärmedizin)

Zentrale:       Alderley Park, County Cheshire

Die Pharmaceuticals Division stellte Arzneimittel für die Human- und Veterinärmedizin her. In den 1920er und 1930er Jahren waren die Forschung und Herstellung von Medikamenten noch kein eigenständiger Geschäftsbereich innerhalb des neu gegründeten ICI-Konzerns, sondern liefen im Bereich der Spezialchemikalien innerhalb der Dyestuffs Division mit. Das änderte sich spätestens mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, als Medikamente, die zuvor aus Deutschland eingeführt wurden, selbst hergestellt werden mussten. So wurden unter anderem Arzneimittel gegen Tropenkrankheiten produziert. Ebenso gelang es in den Laboren der Dyestuffs Division, ein Verfahren zur Herstellung von Penicillin zu entwickeln. Die gesteigerte Aufmerksamkeit und das damit verbundene rasante Wachstum für medizinische Produkte führten 1942 zunächst zur Gründung einer eigenen Vertriebsgesellschaft, der Imperial Chemical (Pharmaceuticals) Ltd. und zwei Jahre später, im Jahr 1944, zur Gründung der Pharmaceuticals Division als eigenständiger Sparte.

Entwicklung der Pharmaceuticals Division von 1942 bis
1953 in Zahlen

Die Forschung und Entwicklung nahm innerhalb der Pharmaceuticals Division naturgemäß eine herausragende Rolle ein, zumal ICI Pharmaceuticals auf Wachstum durch Zukäufe im Pharmabereich verzichtete. Stattdessen wurde die Strategie verfolgt, neue Produkte in den eigenen Forschungslaboratorien in Alderley Park in Cheshire zu entwickeln.

Bild aus dem Faserspiegel II/5 vom Mai 1967

Zu den bekanntesten Entdeckungen der ICI gehörten in den 1950er und 1960er Jahren ein neues Anästhetikum „Fluothane“, „Mysoline“, ein Mittel gegen Epilepsie und ein Herzmittel (Betablocker) sowie eine breite Palette von Mitteln gegen Tropenkrankheiten wie Malaria und Lepra. Ebenso wurde im Bereich der Veterinärmedizin erfolgreich geforscht und Arzneimittel zur Bekämpfung von Würmern bei Rindern, Schafen und Schweinen entwickelt.

Plastics Division (Kunststoffe)

Zentrale:       Welwyn Garden City, County Hertfordshire

Die Fortschritte und Innovationen in den 1930er Jahren im Bereich der organischen Chemie, insbesondere bei den Grundlagen der Polymerisation, führten zur Entdeckung immer neuer Kunststoffe, die die bisher verwendeten natürlichen Rohstoffe wie Holz, Metall, Leder oder Kautschuk in zunehmendem Maß ersetzten. Hinzu kamen neue Anwendungsgebiete bei Haushaltsgeräten, im Hausbau (Lichtschalter) und in der Automobil- und Flugzeugindustrie. Auch ICI erkannte schnell das enorme Wachstumspotenzial. Bereits im Jahr 1945 wurden alle Aktivitäten im Bereich der Kunststoffe, die zuvor auf verschiedene Divisions verteilt waren, zu einer eigenständigen Sparte, der Plastics Division, zusammengefasst.

Dem Bereich Forschung und Entwicklung kam eine besondere Stellung innerhalb der neuen Plastics Division zu. In ihren Laboratorien konnten viele Produkte entwickelt und auf den Markt gebracht werden.

Bild aus dem Faserspiegel II/6 vom Juni 1967

Eine der ersten Erfindungen der ICI im Bereich der Kunststoffe, die zur Marktreife gebracht werden konnte, war Acrylglas aus Polymethylmetacryl. Bereits 1939 wurde es erstmals von der Dyestuffs Division unter dem Markennamen „Perspex“ verkauft. Vor allem als Sicherheitsglas in der Industrie wurde die Marke „Perspex“ nach dem Krieg zu einer Weltmarke und ist heute noch unter diesem Namen erhältlich. Weitere Anwendungsgebiete waren Straßenbeleuchtungen und farbige Badewannen aus Acryl.

Große Bedeutung für die Plastics Division erlangte auch die Produktgruppe der Polythene. Dabei handelte es sich um ein Polyethylen, das nach einem von der ICI entwickelten und patentierten Hochdruckverfahren hergestellt wurde. Die entsprechenden Produkte fanden als Formteile unter dem Namen „Alkathene“ in allen Arten von Haushaltsgeräten Verwendung. Auf Grund seiner leichten Verarbeitung, Zähfestigkeit, Elastizität und Beständigkeit gegen aggressive Chemikalien wurde das Material ebenfalls zu Rohren verarbeitet. Weiterhin wurde der Kunststoff wegen seiner elektrischen Eigenschaften (nicht-leitend) zur Kabelisolierung bei elektrischen Geräten eingesetzt.

Entwicklung der Polythene-Verkäufe von 1938 bis 1949
in Zahlen

Weitere bekannte Produkte der Plastics Division waren „Melinex“, eine Polyesterfolie, die auf dem Elektro- und Verpackungssektor zahlreiche Einsatzmöglichkeiten fand, und „Maranyl“, das für die Herstellung von Zahnrädern und kleinen Maschinenteilen verwendet wurde.

Wilton Works

Eine besondere Stellung innerhalb des ICI-Konzerns nahm der Industriekomplex in Wilton ein. Obwohl es sich dabei nicht um eine Division im klassischen Sinn handelte, wurde Wilton doch wie eine Division behandelt und war mit einem eigenen Vertreter im ICI Board vertreten.

Anlass für die Errichtung eines petrochemischen Industriekomplexes war die Tatsache, dass in der Nachkriegszeit die meisten der neuen Produkte auf Erdöl als Rohstoffbasis umgestellt wurden. Die Divisions nutzten für ihre Produktionsprozesse häufig gleiche Anlagen, Verfahren und technische Mittel. Hinzu kam auch, dass viele Erzeugnisse der einzelnen Divisions in wirtschaftlicher Beziehung zueinander standen: Entweder nutzten sie dieselben Rohstoffe oder das Nebenprodukt im Herstellungsprozess einer Division wurde als Ausgangstoff für das Produkt einer anderen Division verwendet.

Folgerichtig beschäftigte sich die ICI schon bald nach Kriegsende mit einem Plan zum Bau einer neuen petrochemischen Großanlage zur Produktion von Grundchemikalien, die als Zwischenprodukte von den einzelnen Divisions weiterverarbeitet werden konnten. Der neue Industriekomplex sollte aus mehreren Fabrikationswerken („Plants“) bestehen, die auf einem gemeinsamen Gelände lagen, aber von verschiedenen Divisions betrieben wurden.

Die Standortwahl fiel auf Wilton am Südufer des Flusses Tees, wo genügend Gelände zur Verfügung stand. Außerdem gab es hier einen direkten Zugang zur Nordsee, sodass die benötigten Rohstoffe per Schiff angeliefert und die eigenen Erzeugnisse auf dem Seeweg zu den Abnehmern transportiert werden konnten. Neben den kurzen Wegen spielten auch die erwartenden Kostenvorteile durch die gemeinsame Nutzung der bestehenden Infrastruktur auf dem Werksgelände eine wichtige Rolle. So war die zentrale Wilton-Organisation neben der allgemeinen Administration und Gebäudeinstandhaltung auch für die Bereitstellung von Transportmitteln sowie der Energie (Pressluft, Dampf, Strom) verantwortlich. Ein weiteres Argument für den Industriestandort Wilton war die Nähe zu dem bereits existierenden ICI-Werk in Billingham, das an der gegenüberliegenden Seite des River Tees lag. Beide Industriekomplexe wurden später durch ein unterirdisches Rohrleitungssystem verbunden.

Karte mit den Industrieanlagen in Wilton und Billingham; aus einer Pressemappe der ICI, 1968

So genehmigte der ICI-Vorstand Ende 1947 eine Investitionssumme von 25 Mio. Pfund Sterling für die erste Ausbaustufe des neuen Werkes in Wilton. Die Summe musste gemeinschaftlich von den an dem Projekt beteiligten Divisions aufgebracht werden. Das neue Werk wurde am 14. September 1949 offiziell eröffnet und 1951 nahm die Anlage zum Cracken von Rohöl ihren Betrieb auf. In den folgenden Jahren kamen weitere Anlagen in mehreren Ausbaustufen hinzu.

Blick auf den Chemiekomplex in Wilton, BNS-Magazin 1964

Später wurde auch eine große Anlage zur Produktion von Nylon-Polymer errichtet, die unter der Regie der Dyestuffs Division betrieben wurde, welche die Faserwerke der British Nylon Spinners und später der ICI Fibres Division mit Polymergranulat belieferte.

Das Ende der ICI

Ohne Zweifel war der Übernahmeversuch durch Lord Hanson im Jahr 1991 ein wesentlicher Wendepunkt in der Geschichte der ICI. Er löste eine Reihe von Entwicklungen aus, die letztendlich zur vollständigen Auflösung eines der weltweit größten Chemiekonzerns führten.

Der gescheiterte Übernahmeversuch und seine Folgen sind ausführlich in dem folgenden Beitrag von David James beschrieben:

www.dienylon.de/die-hanson-uebernahme/

Auch wenn die Hanson-Übernahme letztendlich nicht zustande kam, löste sie doch einen kulturellen Wandel in der Firmenphilosophie ein: Mit der Aufnahme des Investmentbankers John Mayo von S. G. Warburg & Co. im Jahr 1991 in den Konzernvorstand hielt auch der „Shareholder Value“ Einzug bei ICI.

Vorankündigung der Aufspaltung der ICI, 1992

Mayo trieb die Umstrukturierung (Demerger) des Unternehmens voran, mit dem Ziel, dass sich ICI mehr auf die Bereiche der Spezialchemie konzentrieren sollte, die hohe Gewinnmargen versprachen. Die klassischen Sparten der Grund- und Schwerchemie hingegen, mit denen ICI groß geworden war, wurden als wenig profitabel angesehen und größtenteils veräußert. In diesem Kontext ist auch der Verkauf der ICI-Fasersparte im Jahr 1993 an DuPont zu sehen. Weiterhin leitete Mayo die Abspaltung der höchst profitablen ICI-Pharmasparte unter dem Namen „Zeneca“ ein, deren Finanzdirektor er von 1993 bis 1997 war.

Nachdem ein Großteil seiner historisch profitablen Grundchemikalien-Geschäftsbereiche und viele der neu dazugekauften, aber nicht erfolgreich integrierten Spezialchemiebereiche, verkauft waren, bestand ICI zum größten Teil aus dem Lack- und Farbengeschäft mit dem Markennamen „Dulux“. Dieses wurde schnell zum Objekt einer Übernahmeofferte von Akzo Nobel.

11,82 Milliarden Euro reichten am Ende aus, um den ICI-Vorstand und die ICI-Aktionäre zufrieden zu stellen. Am 2. Januar 2008 hörte ICI PLC auf zu existieren; seine „Rumpfgeschäfte“ waren in Akzo Nobel integriert oder verkauft worden.

Literaturverzeichnis / Quellen:
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– Imperial Chemical Industries History, Part 2, W. J. Reader, 1975
https://de.wikipedia.org/wiki/Imperial_Chemical_Industries
– ICI Faserspiegel “Geburtsstunde der ICI“
– ICI Faserspiegel “ Unser Konzern – Geschichte der ICI nach dem 2. Weltkrieg“