Christoph Wohlfarth
Auch wenn sich bereits Ende der 1960er Jahre erste Tendenzen zu Überkapazitäten und Preisverfall auf dem Chemiefasermarkt bemerkbar gemachte hatten, war der Glaube an eine weitere Marktexpansion bei ICI und den anderen großen Chemiefaserherstellern ungebrochen. Durch die Erschließung neuer Anwendungsgebiete für synthetische Fasern, z. B. Teppichböden, Gardinen, Polsterbezüge, aber auch industrielle Anwendungen, z. B. Auto- und Flugzeugreifen, Segeltuchgarne, Fischereinetze, Farbbänder, usw., rechneten die Chemiefaserhersteller weiterhin mit großen Marktpotenzialen und einem dynamischen Wachstum vor allem im EWG-Raum. Keiner der großen Chemiefaserhersteller wollte den Boom verpassen und so kam es, dass trotz der Warnsignale noch bis Anfang der 1970er Jahre zusätzliche Chemiefaserkapazitäten aufgebaut wurden.
Das Schwesterwerk in Offenbach an der Queich
Im September 1969 gab ICI auf einer großen Pressekonferenz in Frankfurt den Bau eines neuen Faserwerkes in Rheinland-Pfalz in der Nähe von Landau bekannt. Als Standort wurde Offenbach an der Queich ausgewählt, wo ICI ein 80 Hektar großes Baugelände erwerben konnte.
In dem kleinen Ort und der strukturschwachen Region löste die Entscheidung große Euphorie und Aufbruchsstimmung aus, nachdem die jahrelangen Bemühungen um eine Industrieansiedlung endlich von Erfolg gekrönt wurden.
In der ersten Phase des Betriebes sollten etwa 1.200 Beschäftigte in dem neuen Werk tätig sein und neben Nylon- auch Polyesterfasern produzieren. Betreut wurde das Bauprojekt von EPG, der europäischen Projektgruppe, die ihren Sitz bis 1971 in Östringen hatte und dann in die Hauptzentrale der ICI Europa Ltd. nach Brüssel umzog. Mit der Bauplanung und Bauausführung war – wie schon zuvor beim Bau des Östringer Schwesterwerkes – die Firma Heinle & Wischer beauftragt.
Der Erste Spatenstich erfolgte im November 1969.
Es folgen einige Bilder mit Eindrücken von der Veranstaltung zum Ersten Spatenstich:
Das neue Werk sollte ab 1971 stufenweise die Produktion aufnehmen und bis 1973 die volle Kapazität erreichen. Viele Mitarbeiter aus Östringen wurden nach Offenbach entsandt und unterstützten die Inbetriebnahme der Faserproduktion oder übernahmen Doppelfunktionen in beiden Werken.
Zum Werksleiter des Offenbacher Werkes wurde Dr. Waldemar Heckmann, der zuvor als Produktionsleiter in Östringen tätig war, ernannt.
Es folgen Bilder und Eindrücke von verschiedenen Phasen des Werksaufbau:
Direkt im Anschluss an dem Ersten Spatenstich, liefen die Tiefbauarbeiten an. Doch bald danach kam der „große Regen“ und die Oberfläche verwandelte sich in eine Mischung aus Schlamm und Wasser, so dass selbst die Planierraupen das künftige Werksgeländes nur mit Schwierigkeiten befahren konnten.
Um die Bauzeit möglichst kurz zu halten, wurden ebenso wie beim Aufbau des Östringer Werkes Betonfertigteile zum Bau der Fabrikgebäude verwendet. Diese konnten nach den Plänen bereits vorgefertigt werden, während auf der Baustelle noch die Fundamente betoniert wurden. Schwerlasttransporter brachten dann die vorgefertigten Betonteile auf die Baustelle, wo sie mit Hilfe von Kränen aufgestellt wurden.
So konnte dann bereits im Oktober 1970 das Richtfest gefeiert werden. Auch der damalige Chairman des ICI-Konzerns, Sir Peter Allen, ließ es sich bei seinem Besuch in Deutschland Anfang November nicht nehmen, die Fortschritte auf der Baustelle des neuen Faserwerkes selbst in Augenschein zu nehmen.
Bereits im März 1971 konnte bei einem Testlauf auf der ersten Spinnmaschine der erste Faden im Offenbacher Werk gesponnen werden.
Stolz präsentierten I. Marschall aus Brüssel (links) und Werkleiter Dr. W. Heckmann (rechts)
das erste gesponnene Garn.
Bereits April 1971 fanden die ersten Betriebsratswahlen im Werk Offenbach statt. Gerhard Böhme wurde bei der ersten Sitzung zum Vorsitzenden des Betriebsrats gewählt.
Anfang September nahm mit der Kantine eine weitere wichtige Sozialeinrichtung ihren Betrieb auf:
In der ersten Novemberwoche ging eine weitere Episode aus der Pionierzeit zu Ende: Die Mitarbeiter aus der Verwaltungsbaracke konnten endlich in das fertiggestellte Verwaltungsgebäude umziehen.
verglasten Durchgang mit der Werkskantine verbunden war.
Die bisher als Verwaltungsgebäude genutzten Holzbaracken wurden an die Gemeinde Offenbach abgegeben, die durch die Ernennung zur Verbandsgemeinde zusätzliche Bürogebäude benötigte.
Das Werk sollte stufenweise weiter ausgebaut werden. In der Endausbaustufe wurde mit 4.000 Arbeitskräften gerechnet. Mit Östringen als Vorbild vor Augen, hofften der Bürgermeister und die Gemeinde auf einen ähnlichen Aufschwung für das wirtschaftliche, soziale und gesellschaftliche Leben.
Doch es kam anders. Sinkende Nachfrage und Überkapazitäten auf dem Fasermarkt wurden verstärkt durch die erste Ölkrise 1973 mit ihren wirtschaftlichen Verwerfungen. Diese sorgten dafür, dass das Offenbacher Faserwerk nie seine volle Ausbaustufe erreichte. Die Menschen in der Südpfalz wurden in ihren Hoffnungen und Erwartungen schwer enttäuscht, als ICI zunächst mit Stellenabbau und einer Teilstilllegung des Werkes, d.h. Aufgabe der Nylon-Produktion, auf die geänderten wirtschaftlichen Erwartungen reagierte.
Im Juli 1977 gab ICI dann die endgültige Schließung des Faserwerkes Offenbach zum Jahresende bekannt:
im Werk Offenbach
Zum Zeitpunkt der Werksstilllegung waren dort noch etwa 700 Mitarbeiter beschäftigt. Einem Teil der betroffenen Mitarbeiter wurde die Übernahme in das Faserwerk Östringen angeboten. ICI richtete hierfür einen regelmäßigen Werksbusverkehr zwischen Landau und dem Faserwerk Östringen ein, der dreimal am Tag die Schichtarbeiter in die Fabrik und wieder zurück nach Landau beförderte. Der Werksverkehr nach Landau wurde bis Anfang der 1990er Jahre aufrechterhalten.
Entgegen der ursprünglichen Ankündigung fand ICI für das Werk Offenbach a. d. Queich keine weitere Verwendung als Produktionsstandort. ICI und das Land Rheinland-Pfalz versuchten zunächst, für das relativ neue Werk mit seiner modernen Infrastruktur einen Käfer zu finden. Da sich zunächst kein Käufer finden ließ, blieb das Werk zunächst im Besitz von ICI und wurde bis zum endgültigen Verkauf als Lager, z. B. an die Firma Michelin, vermietet.
Das Werk Kaiserslautern
Im Januar 1971 hatte ICI auch noch ein Texturierwerk mit angeschlossener Färberei der Firma Carrington & Dewhurst in Kaiserslautern übernommen und in die ICI Faserwerke GmbH eingegliedert.
Die Texturier-Anlagen des neuen Werkes, das sich bereits zuvor schon in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befand, sollten mit der Texturierung von Polyestergarnen aus den Faserwerken Offenbach und Östringen ausgelastet werden.
Färbekesseln.
Im November 1974 musste ICI bekanntgeben, dass die wirtschaftliche Sanierung und finanzielle Konsolidierung gescheitert war. Das Werk in Kaiserslautern wurde geschlossen und die etwa 400 Mitarbeiter mit einem Sozialplan abgefunden.
Kritik am Vorgehen der ICI
Die Vorgehensweise der ICI, die beiden Werke in Kaiserslautern und Offenbach, deren Aufbau bzw. Erhalt mit staatlichen Fördermitteln subventioniert worden war, zu schließen, löste bei den betroffenen Mitarbeitern und in der Öffentlichkeit der betroffenen Region große Empörung aus. Kritisiert wurde vor allem, dass ICI fast zeitgleich mit der Stilllegung des Offenbacher Werkes den Bau einer neuen Fabrik zur PVC-Herstellung in Wilhelmshaven bekanntgab, der ebenfalls mit staatlichen Fördermitteln subventioniert werden sollte.
Besonders ein Spiegelartikel aus dem Oktober 1979 setzte sich äußerst kritisch der ICI-Unternehmenspolitik in Zusammenhang mit den gewährten Subventionen auseinander: