Autor: Dipl.-Ing. Dozent Reinhard Vogel

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Herr Reinhard Vogel, ehemals verantwortlicher Färbereileiter bei einem ICI Kunden und später Dozent am Berufsbildungszentrum (BBZ) Textil in Münchberg/Naila, beschreibt aus Sicht eines Kunden anschaulich die Auswirkungen mangelhafter Garnlieferungen durch ICI, deren Ursachen und Lösungen. Der Bericht gibt einen tiefen Einblick, sowohl in die die Problematik bei der Faserherstellung als auch auf Störungen und Mängel bei Kunden, die sich bis auf das fertige Produkt eines Kleidungsstückes auswirken können. (Anmerkung der Redaktion)

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Die Firma Wilhelm Sax & Co. KG in Tuttlingen war in den 1970er Jahren Kunde der Firma ICI in Östringen. Dieser mittelständische Textilbetrieb mit ca. 300 Mitarbeitern wurde in dritter Generation von Werner Sax (Kaufmännische Betriebsleitung) und dessen Schwager Horst Möllney (Technische Betriebsleitung) gemanagt. Die Firma Sax als solche war ursprünglich eine Rundstrickerei. Angeschlossen waren eine Texturiererei mit Spulerei, eine Färberei und Ausrüstung. Eine eigene Konfektions-abteilung ergänzte den Betrieb zu einem fast vollstufigen Unternehmen. Eine Warenendkontrolle, inklusive Labor, diente der Qualitätssicherung.

Als ich im Jahre 1969 bei der Firma Wilhelm Sax & Co, Kg in Tuttlingen als Farbereileiter anheuerte, war es meine vornehmlichste Aufgabe die neu etablierte (Hochtemperatur) HT-Stück- und Garnfärberei für texturiertes Polyester zum Laufen zu bringen. Als dies erledigt war, wurde mir zudem die Leitung der bereits seit geraumer Zeit installierten Stückfärberei für texturiertes Polyamid übertragen; denn auch in diesem Produktionsbereich harrten einige Qualitätsprobleme auf ihre Lösung. Eines dieser Probleme war die so genannte „Ringligkeit“.

Ehe ich jedoch zum eigentlichen Thema komme, muss ich etwas weiter ausholen. Die Firma Sax produzierte Rundstrickware aus texturiertem Polyester und Polyamid. In diesem Bericht interessieren uns die Artikel aus texturiertem Polyamid. Ein Teil dieser Produktion floss in den Damenoberbekleidungs- (DOB) Bereich, vornehmlich in die eigene Konfektion, wobei hier wiederum der amerikanische Markt mit den konfektionierten Kleidungsstücken beliefert wurde. Diese Stückware wurde im Rohzustand bei 210 °C vorfixiert. Durch diese Thermofixierung wurden mögliche Materialunterschiede meist ausgeglichen, so dass es bei dieser Artikelgruppe kaum färberische Probleme gab.

Wie kommt es aber zu der durch Materialunterschiede bedingten Ringligkeit?

Dazu muss ich etwas weiter ausholen, auch auf die Gefahr hin, dass ich bereits bekanntes wiederhole.

Polyamid 6.6-Fäden und somit das Handelsprodukt Nylon der Firma ICI werden nach dem Schmelzsinnverfahren aus dem sog. AH-Salz, einem Polymer, das aus den Monomeren Adipinsäuere und Hexamethylendiamin gebildet wird, ersponnen. Die Firma Sax verarbeitete Nylonfäden von der Feinheit 167 f 10 dtex (Nm 60) trilobal. Der trilobale Querschnitt der einzelnen Fibrillen verleiht den Nylonfäden eine seidenähnliche Optik.

Um diese Fadenstärke zu erzeugen, benötigt man Spinndüsen mit 10 dreilappigen Bohrungen. Diese Düsenöffnungen müssen so von ihrem Durchmesser gestaltet sein, dass der Faden nach dem Verstrecken die gewünschte Feinheit besitzt. Dies zu realisieren ist eine technische Herausforderung. Die Firma ICI Östringen war in der Lage der Firma Sax die benötigten Nylonfäden in der gewünschten Spezies zu liefern.

Nachdem die Polymerschmelze durch die Spinndüsen gepresst war, wurde sie durch Abkühlen zum Faden erstarrt. In diesen Fäden sind die Kettenmoleküle jetzt in entsprechender Unordnung vorhanden. Diese Wirrlage bedingt folgende Fadeneigenschaften:

          – hohe Dehnbarkeit – geringe Zugfestigkeit – hohe Farbstoffaffinität

Durch den nun folgenden Verstreckungsprozess versucht man diese Eigenschaften auf einen gewünschten Mittelwert zu trimmen. Bei diesem Vorgang werden Fadenscharen (Filamente) über Galetten (Walzen) geführt, die sich mit unterschiedlicher Umfangsgeschwindigkeit drehen. Auf diese Weise werden die Fäden auf ihre 4- bis 5-fache Länge gezogen. Da nicht jeder Faden gleichermaßen erfasst wird, resultieren Verstreckungsabweichungen, die in ihrer Intensität schwanken können. Beim Färben zeigen sich diese in differenter Farbstoffaufnahme – Hell/Dunkeleffekte im Material sind das Ergebnis.

Nach dem Verstrecken werden die Fäden in der Spulerei auf Hülsen gewickelt. Bei all diesen Prozessen werden die Endlosfäden mit Spulölen beaufschlagt.

Wie man sieht, ist die Herstellung von synthetischen Fäden, so auch den Nylonfäden; ein sehr komplexer Vorgang und erfordert daher enormes technisches Know-how. Die Firma ICI in Östringen beherrschte diese Herausforderung und war deshalb Lieferant und Partner der Firma Sax in Tuttlingen.

Vor dem Versand wird die Produktion einer Qualitätskontrolle unterzogen.

Wie man aus der Tabelle sieht, besitzt Nylon (Polyamid) eine hohe Dehnung:

          Polyamid 40 %       Polyester 30 %       Polyacryl 20 %           Elastan 500 %

Bezüglich der Elastizität ergeben sich ebenfalls sehr gute Werte für Nylon:

          Polyamid 90 %       Polyester 95 %       Polyacryl 60 %           Elastan 100 %

Durch das Texturieren werden diese positiven Eigenschaften noch verstärkt.

Bei Badebekleidung wird besonderer Wert auf gute Anpassung an die Körperform gelegt. Texturierte Nylonfäden waren daher damals das ideale Material, um daraus Rundstrickware für Bademoden herzustellen.

Rundstrickmaschine

Bei der Firma Sax wurden die texturierten Nylonfäden auf 24-systemigen Rundstickmaschinen verarbeitet. Das heißt 24 Spulen waren auf einen Kranz aufgesteckt und die Fäden wurden von dort über Fourniseure den bewegten Zungennadeln zugeführt.

Wurde nun z. B. eine fehlerhafte Spule, meist unbewusst, aufgesteckt, so hatte dies zur Folge, dass sich immer in der 24. Maschenreihe der gleiche Fehler wiederholte. Bei Verstreckungsunterschieden zeigte sich nach dem Färben dann dieser Fehler gegebenenfalls als Ringligkeit.

In der Färberei wurde die Schlauchware aus der Strickerei spannungslos in 30 °C warmes Wasser gegeben, so konnten sich die Gestricke relaxieren, d. h. die in der Ware befindlichen latenten Spannungen wurden mehr oder weniger beseitigt.

Um möglichst keine Ringligkeit durch der Färbevorgang sichtbar zu machen, wurden die Pastelltöne mit ausgesuchten Dispersionsfarbstoffen gefärbt. Mittlere und dunkle Farbtöne mussten auf Grund des geforderten Echtheitsniveaus mittels Säure-farbstoffen erzeugt werden. Diese markierten dann eher Verstreckungsunterschiede. Durch Anwendung eines speziellen Färbeverfahren ist es gelungen, je nach den geforderten Modefarben, bis zu 98 % erste Wahl zum Versand zu bringen. Der großmolekulare Türkisfarbstoff und seine Applikation war in diesem Zusammenhang eine besondere Herausforderung.

Eine Saison waren die gewünschten Modetöne so problematisch bzgl. Ringelmarkierung, dass dann der Anteil an nicht akzeptierter Ware durch die Endkontrolle auf Grund von Ringligkeit das Maß der Toleranz überstieg. Liefertermine drohten zu platzen und somit war Feuer unter dem Dach. Von der kaufmännischen Seite wurde der Technik gesagt, was immer erfolgt, wenn etwas nicht funktioniert: „Aber andere können das! Die Färberei-Abteilung bei der ICI liefert bei Einsatz des gleichen Fadenmaterials nur ringelfreie Maschenware.“

Also ist der Technische Betriebsleiter mit seinem Stab kurzerhand nach Östringen gefahren, um sich dort das nötige Know-how zu besorgen. Wie nicht anders erwartet, legte man uns natürlich nur einwandfrei gefärbte Strickware vor, allerdings in Farbtönen, die auch bei Sax keine Probleme bereiteten. Als wir die Farbtöne türkisbraun und marineblau nannten, musste man gestehen, dass hier Schwierigkeiten in Bezug auf einen einwandfreien Warenausfall gegeben sein könnten.

Unser Besuch in Östringen hat uns den Rücken gestärkt und war somit ein voller Erfolg; denn andere konnten auch nur mit Wasser kochen. Leider blieb uns aus Gründen der Betriebsgeheimnisse eine Betriebsbesichtigung verwehrt.

Ende der 1970er Jahre änderte sich sowohl im Bade- als auch im DOB-Bereich der Modetrend. Andere Faserstoffzusammensetzungen und Artikel wurden vom Markt gefordert. Die Geschäftsleitung der Firma Sax beharrte jedoch auf den eingefahrenen Produktionsschienen. Ich selbst habe mich dann verabschiedet und der Lehre zugewandt. Bis zu meiner Pensionierung war ich Lehrkraft an den Textilschulen in Münchberg. Einige Jahre nach dem Ausscheiden bei der Firma Sax habe ich erfahren, dass der Garneinkäufer grundsätzlich, aus Gründen der Kosten- und damit Gewinnoptimierung, 1b-Ware eingekauft hat. Die Färberei hat dann daraus beste Qualität gezaubert. Wie gesagt: „Die Textilveredlung produziert den Rumpelstilzchen-Effekt – aus Stroh Gold spinnen.“

So teilte schlussendlich die Firma Sax das Schicksal vieler anderer mittelständischer Textilunternehmer mit dieser Meldung im Jahr 2004 im SWR:

„20.12.2004: Seit etwa neun Monaten kämpft die Belegschaft der Tuttlinger Firma Sax um ihre Arbeitsplätze. Zum 100-jährigen Bestehen von Sax soll die Produktion zum Jahresende 2004 eingestellt werden. Die Belegschaft hat am 19. Dezember erneut am Wohnsitz des Geschäftsführers demonstriert. Die Firma weigert sich bisher, Abfindungen im Rahmen eines Interessensausgleichs zu zahlen.“

Also fast zeitgleich hatte sich DuPont de Nemours vom Faserwerk Östringen verabschiedet, indem es seine Nylonfaseraktivitäten in die INVISTA GmbH ausgegliedert und dann an Koch Industries in den USA verkauft hatte.

Dort, wo einst die Firma Wilhelm Sax und Co. KG Strickwaren und Damenober-bekleidung produzierte, steht heute eine Realschule mit allen Nebengebäuden. Dort wird nun Wissen vermittelt, aber außer Kosten eben nichts mehr produziert, was zum Gemeindehaushalt der Stadt Tuttlingen beiträgt.