Autoren: Karlheinz Grundel, Christoph Wohlfarth unter Mitwirkung von David James, Otto Mayer und Dr. Wolfgang Seebach
Gemäß der ursprünglichen Planung hatte ICI sein Faserwerk in Östringen für die Fertigung von textilen Fäden für die Bekleidungsindustrie ausgelegt. Doch schon bald eröffnete sich für das junge Faserwerk neben der Fertigung für Bekleidungsgarne ein weiterer lukrativer Bereich, die Teppichfaserherstellung. Wie sich später zeigen wird, eine Erfolgsgeschichte.
Teppichböden aus Wolle waren besonders in England und in den USA weit verbreitet. Während Chemiefasern in Teppichböden in diesen Ländern schon früh verwendet wurden, gewannen diese in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre zunehmend auch auf dem europäischen Festland an Bedeutung. Mit ihren besonderen Eigenschaften, Weichheit und Wärmeisolation, waren Teppichböden, die aus Chemiefasern hergestellt waren, im Wohnbereich neben der Behaglichkeit vor allem durch die große Strapazierfähigkeit sehr gefragt. Zudem galten sie als pflegeleicht. So war es nur folgerichtig, dass ab 1969 zusätzlich zur Produktion von textilen Bekleidungsgarnen die Produktion von Teppichgarnen und -fasern aufgebaut wurde.
Das folgende Kapitel beschreibt die Entwicklung zum einstufigen Produktionsprozess X-25 für die Herstellung von BCF-Teppichgarn. Durch diese Neuentwicklung wurden die Teppichgarne aus Östringen die besten der Welt.
Aufbau der Teppichgarnproduktion (X-21)
Der Aufbau der Teppichgarnproduktion erfolgte in den Jahren 1969/70. Die hierzu erforderlichen Umbauten und Gebäudeerweiterungen wurden im Rahmen des Bauabschnitts OE IV vorgenommen.

Mit der Erweiterung der Produktpalette um Nylon-Teppichfilamentgarne und Nylon-Teppichfasern erhöhte sich die jährliche Produktionskapazität im Werk Östringen von 20.000 auf 34.000 Jahrestonnen.
Produktionsprozess X-21
Die ersten Spinnmaschinen zur Herstellung von Endlos-Teppichgarn (BCF) wurden aus dem englischen ICI Faserwerk Pontypool nach Östringen geliefert. Der Spinnprozess, der in England die Prozessbezeichnung X-21 erhalten hatte, war ein zweistufiger Prozess: Im ersten Schritt erfolgte das Schmelzen des Polymers und das Extrudieren der Fäden im Schmelzspinnkopf. Die gesponnenen Fäden wurden auf speziellen Spulen, die Kuchen genannt wurden, aufgewickelt. Zuvor wurden sie noch mit einer Wasser-Öl Emulsion (Spinnfinish) zur besseren Verarbeitung im weiteren Prozess versehen.

Die noch unverstreckten Garnspulen (Kuchen) wurden dann auf Garntransportwagen in einem temperierten Lagerraum 24 Stunden zwischengelagert, damit sich die Moleküle innerhalb der Polymerketten ausrichten und beruhigen konnten.

Anschließend wurden die Kuchen auf die Gatter der Streckzwirnmaschinen aufgesteckt. Damit man einen endlosen Faden erhielt, wurde das Fadenende jedes Kuchens mit dem Fadenanfang des nachfolgenden Kuchens verknüpft. Dies erfolgte durch Verwirbeln der Fadenenden mit Luft. Dieser nun knotenfreie endlos laufende Faden wurde im Verhältnis ca. 1:3 verstreckt, um die amorphen (ungeordneten) Moleküle des Fadens in einen kristallinen Zustand zu bringen. Dadurch erhielt der Faden seine Elastizität und Reißfestigkeit. Dies erfolgte, indem der Faden über zwei unterschiedlich schnell laufende Fadenrollen (Galetten) unter Spannung verstreckt wurde.

In einem weiteren Verarbeitungsschritt erfolgte die Texturierung des Garns. Durch diesen Vorgang sollte der frisch gesponnene Faden eine dauerhafte Kräuselung, d. h. Volumen und Bausch erhalten, die der Struktur einer Naturfaser, z. B. aus Schaf- oder Baumwolle gleicht. Bei dieser zunächst noch mechanischen Kräuselung wurde der Faden zwischen zwei Metallförderrollen in die Stauchkammer der Kräuseldüse gepresst. Der Druck der in der Stauchkammer befindlichen Garnsäule auf die beiden Rollen bestimmte die Intensität der Kräuselung. Die Stauchkammer wurde elektrisch beheizt, um die Kräuselung zu stabilisieren. Über die Förderrollen konnten bis zu sechs Fäden, für bestimmte Teppichgarne auch verschieden anfärbbare Garne, verarbeitet werden.
Eine Verwirbelungsdüse (Intermingler) sorgte für den Zusammenhalt der Fäden, bevor im einem letzten Schritt die Aufwicklung des Fadens auf Spulen erfolgte.
Das endlos hergestellte Teppichgarn war geboren:
BCF –Bulked Continuous Fibres, ein Endlosfaden mit Bausch.
Laufende Qualitätskontrollen
Um eine gleichbleibende Qualität zu garantieren, wurden pro Schicht Garnproben entnommen und im Textillabor einer Bausch- und Dehnungsprüfung unterzogen.

Zudem wurden an einer Rundstrickmaschine sogenannte Testschläuche gestrickt. Dabei wurde immer abwechselnd ein 10 cm breiter Streifen des Referenzgarns und ein 10 cm langer Streifen der entnommenen Garnprobe verwendet und einem Anfärbestest unterzogen. Anschließend fand eine Begutachtung des erzeugten Testschlauches hinsichtlich Farbunterschieden zwischen der Garnprobe und dem Referenzgarn statt. Bei einer Abweichung von der Norm, konnten erfahrene Mitarbeiter den Fehler sofort an der Produktionsmaschine durch entsprechendes Nachjustieren beheben. Durch diesen Färbetest sollte sichergestellt werden, dass das an den Kunden ausgelieferte Garn der gleichen Produktionsnummer immer die gleiche Garnqualität besaß, auch wenn zwischen den einzelnen Garnlieferungen mehrere Wochen oder Monate lagen.
Verpackung

Damit die Qualität der bauschigen Endlosfäden beim Transport nicht beeinträchtigt wurde, wurden die Garnspulen berührungslos in Kartons verpackt. Dies erfolgte mittels zweier Lochplatten und Abstandshaltern, die im Karton sowohl unten als auch oben eingelegt wurden.
Stufenweiser Umbau auf eine neue Spinntechnologie
Bis Mitte der 1970er Jahre wurde die Teppichfaserproduktion im Werk Östringen auf eine Kapazität von 50.000 Jahrestonnen ausgebaut. Parallel dazu wurde ab 1977 der Produktionsprozess im Bereich Teppichgarn in mehreren Entwicklungsschritten modernisiert. Ziel der Investitionen war zum einen die Qualitätsverbesserung des Garns, zum anderen die Produktivitätssteigerung durch erhöhten Durchsatz und die Einsparung von Prozessstufen zur Reduzierung von Arbeitskräften. Letztendlich führten diese Maßnahmen zur Einführung eines einstufigen Produktionsprozesses X-25 im Teppichgarnbereich. Ein weiterer wesentlicher Faktor bei dieser Entwicklung war, dass die maßgeblich in Östringen entwickelte Technologie des Schnellspinnens, die sich zunächst in der Fertigung der textilen Garne durchgesetzt hatte, z. B. POY-Garn, zunehmend auch in der Teppichgarnproduktion eingesetzt wurde.
E105
Der Aufbau der E105-Maschinenbank erfolgte ab 1979 und wurde im Juni 1980 in Betrieb genommen. Man kann die E105 auch als Vorläufer des X-15-Prozesses bezeichnen. Bei dem zweistufigen Prozess musste die Maschine zwar immer noch manuell mit den Spinnkuchen bestückt werden, aber ein wesentlicher Unterschied zum X-21-Proess war, dass die Texturierung nicht mehr mir einer mechanischen Kräuseldüse, sondern mit der Dampfdüsentexturier-Technologie erfolgte, die eine dreidimensionale Kräuselung ermöglichte.
Mit der E105 wurde auch zum ersten Mal ein PMS-System im Werk Östringen in Betrieb genommen. Statt Zettel zu schreiben, traten plötzlich Bildschirme in Erscheinung und Drucker übernahmen die lückenlose Protokollierung aller Prozessinformationen. Es war ein Meilenstein in der modernen Prozessautomation.
Neue Polymertrocknungsanlage und staubfreies Polymer als Voraussetzung für den Einsatz der Extrudertechnik
Durch Einsatz der neuen Extrudertechnik sollte eine gleichmäßige Schmelze des Polymers erreicht und damit die Voraussetzung für eine gleichmäßige Anfärbung des Garns geschaffen werden. Das getrocknete Polymer wurde dabei nicht mehr in den einzelnen Spinnköpfen geschmolzen, sondern in einem zentralen Extruder zur Schmelzung gebracht und gleichmäßig durchmischt. Die Polymerschmelze wurde dann zu den einzelnen Spinnpacks transportiert.
Im Rahmen des Projektes Teppichgarnmodifizierung wurden 1986 insgesamt 5,5 Millionen DM investiert, um die Voraussetzungen für den Einsatz der neuen Extrudertechnik zu schaffen. Da hierfür eine exakt festgelegte Trocknung des Polymers wichtig war, musste eine neue Polymertrocknungsanlage installiert werden. Zwei jeweils 4,5 Tonnen schwere und 11 Meter hohe Silos wurden in das Produktionsgebäude eingesetzt. Dazu musste das Dach des 18 Meter hohen Spinnturms auf einer Fläche von 40 Quadratmetern geöffnet werden und die Silos mit einem Autokran von 50 Meter Ausladung über die Dachöffnung eingesetzt werden. Da die Silos das Dach um 3 Meter überragten, mussten Öffnung und Silos mit einem neuartigen Dachaufbau abgedeckt werden. Diese Dachhaube bestand aus einer mit Fassadenelementen verkleideten Stahlleichtbaukonstruktion und wurde mit dem bisherigen Dach verschraubt.

Im Zusammenhang mit der Installation der Trockner musste auch die Stickstoffkapazität erhöht werden, da das Polymer mit Stickstoff aus dem Vortrockner in den neuen Haupttrockner transportiert wurde. Die Verwendung von Stickstoff anstelle von Druckluft sollte eine Oxydation der Amino-Endgruppen in der Polymerkette verhindern, die zu einer Vergilbung des Polymers führen konnten. Im April 1986 wurde daher der bisherige Flüssigkeits-Stickstofftank mit einer Kapazität von 7.000 Nm³ (Milligramm pro Normkubikmeter) demontiert. Der neue Tank mit einer Kapazität von 21.300 Nm³ wurde auf ein eigens errichtetes Fundament installiert und an eine fahrbare Tank- und Verdampfungsanlage angeschlossen.

Für die Herstellung von hochwertigen Fasern war die Verwendung von möglichst sauberem und staubfreiem Polymer von entscheidender Bedeutung. Bedingt durch den Herstellungsprozess enthielt das angelieferte Polymer jedoch immer einen geringen Anteil (etwa 0,05%) an feinstkörnigem Material und Staub. Zur Qualitätsverbesserung des Polymers wurde daher im Herbst 1986 eine neue Entstaubungsanlage in Betrieb genommen. Mit der Installation eines Sichters (Fassungsvermögen > 20 Tonnen) zum Entstauben des angelieferten Polymers konnte der Staubanteil drastisch um 90% gesenkt werden.
Das Polymer wurde durch eine pneumatische Fördereinrichtung mit großer Geschwindigkeit in den Sichter transportiert, wo es durch Luft im Gegenstrom angeblasen und vom Staub befreit wurde. Dabei fiel gereinigtes Polymer nach untern und wurde in Tote Bins abgefüllt. Der angefallene Polymerstaub wurde durch eine Absauganlage (Zyklonabscheider) aufgefangen und je nach Anfall verkauft.
X-15
Ab 1985 wurde unter dem Namen X-15 zum ersten Mal ein einstufiger Prozess mit integriertem Spinn- und Texturierprozess eingeführt. Eine Aufwicklung auf Kuchen und Zwischenlagerung sowie die anschließende Spinnkuchenbestückung waren somit nicht mehr erforderlich. Dies brachte eine große Kostenersparnis. Durch den Einsatz der Extrudertechnologie wurde eine gleichmäßige Schmelze des eingesetzten Polymers und damit eine deutliche Qualitätsverbesserung erreicht. Zur Dampfkräuselung wurde eine Kompaktdüse mit der Bezeichnung CS4 eingesetzt, d. h. nach Fadenbrüchen oder Prozesswechsel mussten die Filamente in der Kräuseldüse manuell mittels einem Hilfsfaden neu eingefädelt werden.
X-85
Parallel zur X-15-Maschinengeneration wurde eine neue Maschinengeneration mit neuer Dampfdüsentechnik unter dem Prozessnamen VBM-X-85 (Versatile Bulking Maschine) entwickelt. Damit ließen sich Garne aus unterschiedlich anfärbende Polymertypen (O = normal anfärbend, B = mit basischen Farbstoffen anfärbend, E = extra tief anfärbend) miteinander kombinieren, um beim Färben der Stoffe unterschiedliche Farbeffekte zu erreichen (Differential Dyeing). Hierzu wurde eine von der Entwicklungsabteilung in Östringen neu Dampfkräuseldüse (CS5) zur Verwirbelung der unterschiedlichen Garntypen eingesetzt.
X-40

Bei diesem Prozess erfolgte die Polymerschmelze im Schmelzgitter des Spinnkopfes mit anschließender Aufwicklung auf einem Spinnkuchen als Zwischenschritt. Dieser Spinnprozess erlaubte eine höhere Spinngeschwindigkeit.
Zur Texturierung wurde – im Gegensatz zu den bisher eingesetzten Kompaktdüsen – zum ersten Mal eine neu entwickelte, teilbare Kräuseldüse (CS6) eingesetzt. Der besondere Vorteil der teilbaren Kräuseldüse, an deren Entwicklung die von Dr. Tilo Becker geleiteten Verfahrensentwicklung maßgeblich beteiligt war, bestand darin, dass nach Prozessunterbrechungen der Faden mittels Saugpistole, d. h. ohne Verwendung eines Hilfsfadens, eingefädelt werden konnte.
Ankündigung 100 Millionen Investitionsprogramm

Um die Position des Faserwerks Östringen als modernste und größte Produktionsstätte für Nylonfasern für das kommende Jahrzehnt zu festigen, wurde 1989 ein mehrjähriges Investitionsprogramm mit einem Volumen von 100 Millionen DM aufgelegt. Bestandteil dieses Investitionsprogramms waren u. a. die Projekte „Polymerhandling“ und „X-25“. Ein weiteres Projekt „Zero-Break“ sollte zu einer Minimierung der Produktionsunterbrechungen und damit zu einer Steigerung der Qualität und Ausbeute führen. Ziel des X-25-Projektes war die Entwicklung einer Hochgeschwindigkeits-Spinnmaschine auf Basis der Extrudertechnik mit Spinn-, Streck- und Texturierprozess, wodurch der gesamte Produktionsprozess einstufig werden sollte.
Ähnliche Modernisierungsprojekte in den Bereichen Stapelfasern und Textilfasern (POY) sollten dazu führen, dass bis Ende 1992 auch die letzte Maschine der ersten Generation von 1965 in Östringen ausgetauscht werden konnte.
Alle Projekte wurden, von der Planung bis zur Inbetriebnahme der Maschinen, von einem Projektteam in enger Zusammenarbeit mit der Verfahrensentwicklung durchgeführt. Das Kernteam bestand aus ca. 15 ICI-Mitarbeitern, hauptsächlich Ingenieure und Techniker, die teilweise auch von Fremdfirmen unterstützt wurden. Dies bedeutete natürlich eine große Herausforderung und Verantwortung für diese relativ kleine Gruppe. Für jeden einzelnen Mitarbeiter, der an dem Vorhaben von der Beschaffung bis hin zur Inbetriebnahme beteiligt war, stellte diese Zeit eine große Herausforderung dar.
Einführung und Inbetriebnahme X-25
Mit der Einführung des neuen Maschinentyps X-25 begann für die Teppichgarnproduktion im Östringer Faserwerk ein neues Zeitalter. Bei der X-25 handelte es sich um einen einstufigen Prozess, d. h. die Herstellung von BCF-Garn lief vom eingefüllten Polymer bis zum aufgewickelten Faden durchgängig und ohne Unterbrechung ab. Dies war die wichtigste Voraussetzung für eine Kapazitätserweiterung und Qualitätssteigerung auf wirtschaftlicher Basis. Die Erhöhung der Produktionskapazität war auch notwendig geworden, da ein Teil des Produktionsprogramms von Doncaster (UK) nach Östringen verlagert wurde. In der Endstufe ab 1992 sollte die gesamte Endlos-Teppichgarnproduktion der ICI in Östringen konzentriert werden.
Die Effizienzsteigerung wird deutlich, wenn man den Vergleich zu dem bisherigen Spinnprozess zieht: Die X-25 hatte einen Ausstoß von ca. 6.400 Kg pro Tag bei 4 Modulen. Im Vergleich zu den alten Typ 12 Spinnmaschinen mit ca. 2.400 Kg pro Tag (mit 6 Spinnköpfen) erzielte die X-25 somit den 3-fachen Durchsatz und das bei einem einstufigen Prozess.
Ein wichtiger Faktor für die Qualitätsverbesserung war die Einführung der neuen Extrudertechnik: Dadurch kam es zu einer gleichmäßigen Schmelze des Polymers und somit war die Voraussetzung für ein gleichmäßigeres Anfärben des Garns geschaffen.
Das X-25 Projekt war in 2 Phasen aufgeteilt: Eingeläutet wurde das neue Zeitalter am 1.7.1989 mit dem Anlaufen eines Versuchsmoduls, auf dem die Prozessentwicklung durchgeführt wurde. Am Freitag, den 6.4.1990 war es dann nach intensiver Entwicklungsarbeit so weit: Auf dem X-25 Prototyp konnten die ersten Spulen gedofft werden. Ein großer Augenblick für den Teppichgarnbereich in Östringen, besonders aber für das verantwortliche Projektteam um den Leiter der Entwicklungsabteilung Dr. Tilo Becker sowie die Östringer Ingenieurabteilung unter dem Project Engineering Manager André Lafeber.
Es folgt ein Bericht aus dem OE Aktuell vom April 1990 über die ersten Spulen. die auf dem X-25-Prototyp gedofft wurden:
Im weiteren Verlauf des zweiten und dritten Quartals 1990 wurden dann die ersten vier X-25 Produktionsmaschinen mit einer jährlichen Kapazität von 9.000 Tonnen BCF-Garn in Betrieb genommen. Der Investitionsaufwand in dieser ersten Phase belief sich auf 33 Mio. DM.
Nach dem erfolgreichen Einsatz der ersten vier Maschinen und einer Konsolidierungsphase, konnte die zweite Phase in Angriff genommen werden, so dass ab 1992 weitere X-25 Maschinen in Betrieb gehen konnten. Der Investitionsaufwand für die zweite Phase belief sich auf noch einmal 36 Mio. DM.
Nach Abschluss der zweiten Phase, d. h. nach der Inbetriebnahme aller X-25 Maschinen, war die gesamte BCF-Garnproduktion mit einer Kapazität von 20.000 Tonnen pro Jahr auf den einstufigen X-25 Herstellungsprozess umgestellt.

Umbaumaßnahmen
Die Inbetriebnahme der X-25-Maschinen erforderte größere bauliche Maßnahmen:
Der Einsatz der Extrudertechnik setzte eine exakt festgelegte Trocknung des Polymers voraus. Durch den erheblichen Platzbedarf der dafür erforderlichen Polymertrockner war eine Unterbringung direkt im Spinnturm nicht mehr möglich. Daher wurde der Spinnturm für die Aufnahme der neuen Polymertrockner durch einen Anbau mit einer Höhe von 25 m verlängert.

ICI-Spiegel Nr. 67, Nov. 1989
Eine weitere Voraussetzung war die Inbetriebnahme des neuen pneumatischen Polymerbeschickungssystems im Sommer 1990. Die dazu erforderlichen Polymersilos waren mit einer besonders glatten Innenoberfläche versehen, um den Reibungswiderstand zwischen der Silowand und dem eingelagerten Polymer möglichst gering zu halten. Dadurch konnten die Ausbeuteverluste bei einem Polymerwechsel deutlich reduziert werden, d. h. Polymer A wurde einfach pneumatisch auf Polymer B gelegt und rutschte gleichmäßig nach unten, ohne dass es beim Absinken zu unerwünschten Vermischungen mit einer anderen Polymersorte kam. Die X-25 Maschinen waren die ersten Maschinen, die an dem neuen Polymerbeschickungssystem angeschlossen wurden.
Die völlig neue Konzeption dieser Herstellungsanlage bedingte eine Veränderung der Stockwerkshöhe auf 4 Etagen:
3. OG: Anschluss an pneumatische Polymerbeschickung
2. OG: Extruder mit Spinnmaschine
1. OG: Texturierung
EG: Aufwicklung

Dies machte auch eine Veränderung der Geschosshöhe im Spinnturm erforderlich, welche durch eine neue Stahlkonstruktion erreicht wurde.
Stilllegung der X-21-Teppichgarnproduktion
Die alte X-21 Produktion konnte zum 31.12.1992 nach 26 Betriebsjahren stillgelegt werden. Der Personalabbau erfolgte schrittweise im Einklang mit der Inbetriebnahme der X-25-Maschinen. In Spitzenzeiten waren bis zu 120 Mitarbeiter an den X-21 Prozessen beschäftigt. Lediglich ein kleiner Teil von 30 Mitarbeitern fand keine Weiterbeschäftigung. Sie nutzten die Möglichkeiten von Vorruhestand oder Sozialplan.
Auszug aus einem Bericht des OE Aktuell zur Stilllegung der X-21-Teppichgarnproduktion vom Dezember 1992:
Prozessdarstellung X-25
Die nachfolgende Prozessdarstellung und -beschreibung beruht auf Unterlagen von Karlheinz Grundl für die Schulung neuer Mitarbeiter. Die letzten vier Jahre seiner insgesamt 40-jährigen Betriebszugehörigkeit war Karlheinz Grundl für die Ausbeute und teilweise auch für die Qualität der X-25 Teppichgarn-Produktion zuständig.
Um den X-25 Mitarbeitern die komplexe Maschine und den gesamten Produktionsablauf näher zu bringen, erstellte Karlheinz Grundl für seine Schulungen folgende X-25-Prozessübersicht:

Ziel der Unterweisung war es, die Mitarbeiter in der Schicht in die Lage zu versetzen, Störungen und Fehler möglichst schnell vor Ort zu erkennen und die Ursachen der Störung zu beheben. Alleine durch die Reduzierung der Fadenbrüche konnte so die Ausbeute und damit auch die Qualität enorm gesteigert und verbessert werden.
Es folgt eine Beschreibung der einzelnen Prozessschritte:
1. Herstellung von Polymerchips in Rozenburg
Die im Faserwerk Östringen verarbeiteten Polymere wurden im ICI Werk Rozenburg (Holland) aus den Bestandteilen Adipinsäure und Hexamethylendiamin hergestellt. Beide Bausteine wurden nach Rezept in einen Vakuumbehälter (Autoklaven) gefüllt. Zur Einstellung der Viskosität wurde ein vorher bestimmter minimaler Wassergehalt zugeführt. Nach Ablauf einer produktbedingt voreingestellten Zeit wurde das erzeugte heiße und zähflüssige Produkt durch Spinndüsen gedrückt, über ein Wasserbad geführt und anschließend in Polymerchips geschnitten.
2. Transport nach Östringen
Der Transport der im ICI Werk Rozenburg (Holland) hergestellten Polymerchips nach Östringen erfolgte im Container per LKW oder über die Bahn.
3. Abfüllung in Mischsilos
Nach der Ankunft wurde das angelieferte Polymer in sogenannte Mischsilos gefüllt. Da jeder Polymertransport minimale, nicht vermeidbare Unterschiede der relativen Viskosität (RV) aufwies, musste jede Neufüllung mit dem schon im Silo befindlichen Polymer mittels Luft vermischt werden, so dass sich eine gleichmäßige RV ergab. Ansonsten hätte die unterschiedliche RV später zu einer ungleichmäßigen Anfärbung des Garns geführt.
4. Blasluftförderung zum Vorsilo
Das in den Mischsilos aufbereitete Polymer wurde mittels Blasluft und vorhandenem Kanal zum Vorsilo befördert.
5. Förderung zum Vortrockner
Bevor das Polymer in den Haupttrockner gefüllt werden konnte, musste es von dem anhaftendem Sauerstoff befreit werden. Grund: Anhaftender Sauerstoff würde beim Trocknen zu einer Vergilbung am Polymer und gleichzeitig zu einer Blasenbildung beim Verspinnen führen. Die Folge wären schlechtes Anfärben bzw. Fadenbrüche. Die Hauptfunktion des Vortrockners war es daher, bei einer vorherrschenden Temperatur von ca. 110 °C dem Polymer Sauerstoff zu entziehen und es damit zum Trocknen vorzubereiten. Der Vortrockner selbst hatte somit keine Trocknungsfunktion. Der Stickstoff wurde mittels einer Filteranlage vom Staub gereinigt und wieder dem Kreislauf zugeführt. Zudem war nach dem Vortrockner ein Wärmetauscher zur Wärmerückgewinnung angebracht.
6. Polymerförderung zum Haupttrockner
Um erneute Sauerstoffanhaftungen zu vermeiden, wurde das Polymer mittels Stickstoff aus dem Vortrockner in den Haupttrockner befördert. Dort wurde das Polymer bei einer Luftfeuchtigkeit von 18 % und einer Temperatur von 95 – 110 °C getrocknet.
7. Polymerbeimischung Nylon 6
Über die K-Tron Dosiereinheit erfolgte je nach Rezeptangabe des Solltiters eine Zugabe von Nylon 6 (PA 6). Die Dosierung erfolgte über eine Schnecke. Das Nylon 6 wurde von externen Lieferanten, z.B. BASF, bezogen und war vom Hersteller bereits auf 0,1 % H2O vorgetrocknet. Im Gegensatz zu Nylon 6.6, dessen Schmelzpunkt bei 265 °C liegt, weist Nylon 6 mit 225 °C einen deutlich niedrigeren Schmelzpunkt aus. Durch die Beimischung dieses Polymertyps bildeten sich aus den amorphen Polymerketten kristalline, d.h. fest ausgerichtete Polymerketten. Dies verbesserte die Gesamtviskosität des geschmolzenen Polymers und ermöglichte eine schnellere Spinngeschwindigkeit von bis zu 3.000 m pro Minute.
8. Extruder

Das Polymer wurde im Extruder geschmolzen und über ein Schneckengewinde unter hohem Druck und hoher Temperatur (bis zu 300 °C) gleichmäßig aus der Öffnung in die Polymerleitungen gepresst. Dadurch wurde es für den nachfolgenden Spinnprozess verarbeitungsfähig gemacht.
9. Polymerförderung zu den Spinndüsen

Über ein doppelwandiges Rohrsystem (Manifoldrohr) wurde das Polymer zu den Spinndüsen weitergeführt. Das innere Rohr, durch das das heiße Polymer geleitet wurde, war dabei mit einer Thermexleitung ummantelt. Thermex (Diphyl) = Wärmeträgeröl mit einem Siedepunkt von ca. 250 °C. Der in diesem Rohr befindliche Diphyldampf wurde auf 275 – 285 °C aufgeheizt.
Um sicherzustellen, dass das zugeführte Polymer in den 4 Spinnmodulen die gleichen thermischen Eigenschaften hat, musste die Polymerverweilzeit in den 4 Zuleitungen gleich lang sein. Daher wurde bei den beiden innen liegenden Zuleitungen der Leitungsweg durch Einbau einer Zusatzwindung künstlich verlängert.
10. Packbox mit Spinnpacks
Am Ende der 4 Zuleitungen führten zahnradgetriebene Dosierpumpen das Polymer in den Spinnpack:

Die Packbox war ein trichterförmiges Gehäuse und diente als Halterung für die Dosierpumpe und die Spinnpacks. Sie bestand aus Gusseisen (gut wärmeleitend) und wurde mit Thermex (Flüssiggas) auf Rezepttemperatur aufgeheizt. Im Inneren des Spinnpacks befanden sich vier Kanäle mit verschiedenen Dichtungen und Filtern, durch die das Polymer geleitet wurde. Unten wurde eine Düsenplatte mit unterschiedlichen Spinndüsen angeschraubt, die je nach Fasertype eine bestimmte Anzahl von Kapillaren auswiesen.


11. Blasschacht
Die frisch gesponnenen Fäden wurden in den Blasschacht von etwa 1,5 m Länge weitergeleitet und abgekühlt. Der Blasschacht hatte folgenden Aufbau: Zwei Lochplatten hinten (groß und klein), zwei Blasschachtseitenteile sowie vorne ein Gewebesieb. Durch eine Plexiglasscheibe aus Perspex kontrollierten die Produktionsarbeiter den Filamentlauf und prüften, dass der Filamentvorhang gleichmäßig angeblasen wurde.
Wichtig war vor allem, die beiden Lochplatten sowie das Gewebesieb regelmäßig auf Verunreinigungen durch Monomerrückstände zu prüfen. Gegebenenfalls mussten diese ausgetauscht und gereinigt werden, um eine einwandfreie Luftströmung zu gewährleisten. Zudem war ein Rauchabzug zur Monomerabsaugung vorhanden.
Die Luftgeschwindigkeit wurde nach Rezept eingestellt, oben über 3 m pro Sekunde, unten etwas weniger.

12. Texturierung
Die Texturieretage befand sich im ersten Obergeschoss. Dort wurden die aus den Spinndüsen ausgetretenen Filamente von einem Fadenführer zu einem Faden zusammengeführt und in einem Applikator mit Spinnfinish (Avivage) präpariert. Bei dem aufgetragenen Spinnfinish handelte es sich um eine Mischung aus Öl und Wasser, die als Gleitmittel für die weitere Verarbeitung des Fadens diente. Zudem reduzierte das Auftragen von Spinnfinish die elektrostatische Aufladung des Fadens.
Anschließend wurden der Faden in den Intermingler eingeführt, wo die losen Filamente über mehrere Luftspalte von beiden Seiten angeblasen und in kurzen Abständen zu sogenannten Intermingel-Knoten (Knotenpunkte) verbunden wurden. Außerdem wurde durch das Intermingeln das zuvor im Applikator aufgetragene Spinnfinish gleichmäßig auf dem Faden verteilt.
Über mehrere Fadenführer und Einzugsrollen wurde der Faden dann in die Streckzone weitergeführt und dort über die B-Rolle und die beheizte C-Rolle, die mit unterschiedlicher Geschwindigkeit angetrieben wurden, verstreckt. Ein gängiges Verstreckungsverhältnis war beispielsweise 3:1, d.h. die B-Rolle wurde mit einer Geschwindigkeit von 1.000 m/s und die C-Rolle mit einer Geschwindigkeit von 3.000 m/s angetrieben. Durch die Verstreckung wurden die amorphen, d.h. ungeordneten Polymerketten in eine kristalline Polymerkette ausgerichtet und somit für die Folgeprozesse verarbeitbar gemacht.

Der verstreckte Faden wurde danach in die Kräuseldüse eingezogen, um ihm unter Dampfdruck und Luftströmung einen textilen Bausch zu verleihen.

Am Ende des Texturierprozesses wurde der texturierte Faden über eine Kühltrommel wieder abgekühlt und über weitere Umlenkrollen in die Wickleretage weitergeführt.
13. Aufwicklung
Die Wickler waren im Erdgeschoss untergebracht. Die wesentlichen Bestandteile eines Wicklers waren die Nutenläuferwalze, eine Spulenauflagewalze und eine Hülse zur Aufnahme des Fadens. Die Wickler waren inzwischen so weit entwickelt, dass sie je nach Prozess mit einer Walzengeschwindigkeit bis zu 3.000 m/s betrieben werden konnten. Die genaue Berechnung der Drehzahl erfolgte aus der Fadenanliefergeschwindigkeit im Verhältnis zum Walzendurchmesser.


Über das an den X-25 Maschinen angeschlossene PMS-System wurden automatisch Qualitätslabel mit Barcode gedruckt und manuell in die Spulen eingeklebt. Auf diesen Spulenetiketten standen die genaue Bezeichnung des Produktes, die Maschinenposition, der Zeitstempel sowie die Qualitätseinstufungen („Grades“) des produzierten Garnes.

Die fertigen Spulen wurden auf Rollwagen gesteckt und in das Fertigwarenlager zur automatischen Verpackung geschoben.

Kommentar von David James (Operations Manager Carpets)
